„Eyes, lungs, pancreas. So many snacks, so little time.“ – Hungrig: Venom
Bei der gegenwärtigen Flut an Superhelden-Verfilmungen und -Fortsetzung war die Übersättigung nur eine Frage der Zeit. Das „Zu viel ist nicht genug“-Prinzip, nach dem jeder noch so marginal bekannte Comic-Streiter ein eigenes Zelluloid-Universum erhält, stößt, „Avengers Endgame“ hin oder her, an seine Grenzen. Ausdruck dieser Entwicklung ist ausgerechnet „Venom“, jener monströse außerirdische Parasit aus dem erweiterten „Spider-Man“-Kontext, der für seinen Kinoeinstand ein Skript spendiert bekam, das der ambivalenten Natur des Themas nur schwerlich gerecht wird. Das erscheint umso bedauerlicher, da die Hauptrolle von Charakterdarsteller Tom Hardy („The Revenant“) verkörpert wird, der in der Rolle des Enthüllungsjournalisten Eddie Brock nicht nur vergleichsweise häufig lächelt, sondern im englischen Original auch überraschend deutlich spricht.
Stein des Anstoßes ist einmal mehr ein brillanter Wahnsinniger, in diesem Fall der nach menschlicher Evolution strebende Unternehmer Carlton Drake (Riz Ahmed, „Rogue One: A Star Wars Story“). Der will das Weltall besiedeln und pocht dafür auf die Verbindung des Menschen mit außerirdischen Organismen. Die auf einem fernen Planeten entdeckte und zur Erde geschaffte Lebensform der Symbioten, die den Körper anderer Geschöpfe in Beschlag nehmen und steuern kann, kommt ihm gerade recht. Als Eddie den vermeintlichen Heilsbringer interviewen soll und provokante Fragen stellt, ist die Karriere vorbei. Damit nicht genug, scheitert auch die Beziehung zu Anwältin Anne Weying (Michelle Williams, „Greatest Showman“). Monate später ist Eddie am Boden zerstört. Aus seiner Lethargie wird er erst gerissen, als ihm Dr. Skirth (Jenny Slate, „Hotel Artemis“), eine Angestellte Drakes, Beweise für dessen ruchlose Forschung anbietet.
Das Problem des Films ist auch die des vorangegangenen Absatzes: Es dauert viel zu lange, bis Bewegung in die Geschichte kommt. „Zombieland“-Regisseur Ruben Fleischer lässt die Figuren üppig um die entscheidende Entwicklung kreisen, dass Eddie bei der Spurensuche in Drakes Labor vom gallertartig-schlangenhaften Symbioten Venom befallen wird. Dessen abgründige Seite zeigt sich in der bevorzugten Vertilgung menschlicher Körperteile. Doch anstatt das morbide Potential des Stoffes herauszuarbeiten, verkommt der Einstand des dunklen Antihelden zum archetypischen Blockbuster-Einerlei. Anfangs wirkt Venom auf die Invasion der Erde durch seine Spezies hin. Der für eine Fortführung notwendige Sinneswandel, der in die partnerschaftliche Kooperation mit Eddie mündet, wird jedoch in wenigen Halbsätzen und über krude Ähnlichkeitsbekenntnisse zementiert.
Dass die Symbioten, die den Wirtskörper über blitzschnell ausfahrbare, beliebig variable Fortsätze mit enormen Fähigkeiten ausstatten, durch Feuer und Hochfrequenztöne verwundbar sind, eröffnet Eddie zunächst Möglichkeiten, mit Annes Hilfe die Kontrolle über sich selbst zurückzugewinnen. Nur ist die Verbindung von ihm und Venom notwendig, um den seinerseits durch einen Symbioten zu gewaltiger Kraft gelangten Drake aufzuhalten. Das Dilemma des erzählerisch selten überzeugenden Films erreicht beim Showdown auf einer Raketenstartrampe seinen Tiefpunkt: die negative Spiegelung des Helden ist schmerzlich einfallslos und die CGI-Bilderflut wirkt derart überfrachtet, dass im Kampfgetümmel der Symbioten kein schlüssiger Ablauf mehr erkennbar ist.
Doch „Venom“ hat auch seine gefälligen Aspekte: Tom Hardy spielt lustvoll gegen die konventionelle Einfallslosigkeit des Drehbuchs an und die Zwiegespräche zwischen ihm und seinem monströsen Parasiten sorgen für knurrig humorige Highlights. Dass dem insgesamt durchwachsenen Start dennoch ein Sequel folgen wird, unterstreicht die obligatorische Post-Credit-Szene, die mit dem wahnsinnigen Mörder Cletus Kasady (Woody Harrelson, „Solo: A Star Wars Story“) immerhin einen Bösewicht von Format vorstellt. Es bleibt zu hoffen, dass dem Potential des Stoffes zumindest im zweiten Anlauf genüge getan wird.
Wertung: (5,5 / 10)