Wenn urbane Anonymität und soziale Isolation zu Mordtrieb führen: Der bittere britische Film heißt wie seine Hauptfigur. Tony (Peter Ferdinando, „Face“) ist ein unscheinbarer, gebückt durchs Leben schreitender Außenseiter. Mit der zu großen Brille und dem Schnurbart wirkt er wie ein Relikt der Achtziger. Nicht minder anachronistisch mutet auch die spartanische Einrichtung seiner Vorstadtwohnung an. Oder die Vorliebe für alte Actionfilme, die er sich auf VHS in den Sessel gekauert anschaut.
Es ist ein trostloses Leben, das jener antriebslose Langzeitarbeitslose mit den schwarzen Zahnreihen fristet. Wenn er die Einsamkeit mit Videos oder Sexheften – manchmal vertreibt er sich die Zeit auch bei einer Nutte oder im Schwulen-Club – holt er sich Besuch ins Haus. Meist sind es Junkies, denen Tony, sobald sie zugedröhnt in Couch oder Sessel versunken sind, Plastiktüten überstülpt und sie erdrosselt. Die Leichen zerteilt er in der Badewanne und entledigt sich den sorgsam verpackten Einzelteilen in der Themse.
Der von „Shameless“-Schöpfer Paul Abbott produzierte Low Budget-Film erzählt eine Geschichte aus dem gesellschaftlichen Schatten. Das heißt, eigentlich erzählt es gar keine richtige Geschichte. Vielmehr ist „Tony“ ein Auszug, ein Exzerpt eines Lebens ohne Mittelpunkt. Warum der schmächtige Mörder immer wieder tötet, bleibt offen. Die Abstinenz eines Motivs macht den von Gerard Johnson geschriebenen und gedrehten Film nur umso schwerer verdaulich.
Der Zuschauer wird Zeuge von einem verstörend nüchtern betrachteten Mix aus Alltagsbewältigung und Gräueltaten. Explizit ausgeschlachtet werden die Gewaltakte nicht. Aber wenn Tony morgens neben einer Leiche im Bett aufwacht, könnte das Verlangen nach Antworten kaum größer sein. Johnsons Portrait des Mörders, der sich vor dem Spiegel martialische Filmzitate über Soldatentum entgegenruft, ist kein selbstzweckhaftes Blutbad, sondern ein zehrender Blick in den Abgrund der modernen Gesellschaft.
Tony, zwischen Mitleid und Abscheu großartig gespielt von Peter Ferdinando, scheint aus Triebhaftigkeit zu töten, mordet aber auch, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt. Als ein Kind in der Nachbarschaft verschwindet, gerät der zurückgezogene Eigenbrötler in Verdacht. Konventionell aufgelöst werden solch beiläufige Nebenhandlungen jedoch nicht. „Tony“ ist ein stilles, vom schwermütigen Soundtrack der Band The The trefflich untermaltes Werk, das auf den Spuren von „Henry – Portrait of a Serial Killer“ nicht viel Neues bietet. Aber um im Gedächtnis nachzuklingen, muss er das auch gar nicht.
Wertung: (7 / 10)