„People are the real threat now.“ – Rick
Auch in der zombifizierten Endzeit von „The Walking Dead“ braucht es Ruhephasen. Mehr noch als der Aufenthalt auf Hershels Farm in Staffel zwei bedeutet die zweite Hälfte von Season fünf kollektive Entschleunigung. Manchen Publikumskreisen war diese Zurückhaltung zu viel des Guten. Es kursierten gar Umbenennungen in „The Boring Dead“. Was dabei vergessen wird ist allerdings, dass die TV-Reihe mehr Charakter-Drama als Splatterfest ist – und dass eine sinnvolle Entwicklung der Figuren im dauerhaften Strudel herausgerissener Gedärme und explodierender Köpfe nur schwer zu gewährleisten wäre. Der Glaubhaftigkeit, wohlgemerkt der Protagonisten, nicht des Szenarios, werden die Macher daher auch diesmal mit beeindruckender Souveränität gerecht.
Die vorangegangene Halbstaffel endete mit neuerlicher Verzweiflung. Nach Beths Tod sucht die Gruppe um Rick (Andrew Lincoln) erneut nach Zuflucht. Diesmal außerhalb Georgias. Doch bevor sie nach einer stürmischen Nacht von Aaron (Ross Marquand, „Impress Me“) aufgesucht und in die befestigte Kleinstadt Alexandria eingeladen werden, schrumpft der Überlebendenzirkel gleich in der Auftaktepisode um einen weiteren relevanten Charakter. Die von Greg Nicotero, der die Reihe hauptsächlich als Make Up- und Effektspezialist sowie Produzent begleitet, inszenierte Folge schlägt stilistisch ungewohnte Wege ein. Flashbacks, Gegenlicht und direktere Kameraeinstellungen machen seine visuell eigenwillige Regie besonders – die Folge selbst aber mehr streitbar als überzeugend.
Dass der Gruppe ihr moralisches Zentrum abhanden kommt, unterstreicht die Unvorherhsehbarkeit. Sicher ist in der Post-Apokalypse niemand. Der von Halluzinationen geprägte Todeskampf, in denen neben den verstorbenen Beth (Emily Kinney) und Bob (Lawrence Gilliard Jr.) selbst der Governor (David Morrissey) einen Kurzauftritt absolviert, bleibt symbolisch überfrachtet und emotional kalkuliert aufwühlend. Mit der Einkehr in die erstaunlich unbehelligte Kommune Alexandria, die von der ehemaligen Senatorin Deanna Monroe (Tovah Feldshuh, „Das Mädchen aus dem Wasser“) geleitet wird, kehrt allerdings die bewährte Klasse zurück. Blut und Gewalt, ja selbst die Gefahr durch die Zombiehorden, rücken vorerst in den Hintergrund. Dafür wird deutliches Augenmerk auf die individuellen Probleme gelegt, sich in einer zivilisierten Gesellschaft zurechtzufinden.
„We do what we need to do, and then we live.“ – Rick
Vor allem Rick, der mit Michonne (Danai Gurira) als Ordnungshüter eingesetzt wird, fällt es schwer, die zum Schutz entwickelten Verhaltensmuster und insbesondere das beständige Misstrauen abzulegen. Daryl (Norman Reedus) verweigert sich der Gemeinschaft gar komplett, wird von Aaron aber bald für den Außeneinsatz und die Ansprache potentieller neuer Bewohner Alexandrias eingebracht. Die resolute Carol (Melissa McBride) setzt die Fassade der wehrlosen Hausfrau auf, während Soldat Abraham (Michael Cudlitz) und die mit ihm zur Gemeinschaft hinzugestoßenen Gefährten in den Hintergrund treten. Gleiches gilt für Ricks Sohn Carl (Chandler Riggs) sowie Maggie (Lauren Cohan) und Glenn (Steven Yeun). Der Letztgenannte darf nach dem Verlust eines weiteren Freundes aber den ewigen Kampf um die Bewahrung der Menschlichkeit fortführen.
Dass „The Walking Dead“ noch immer zum aufregendsten zählt, was die US-Fernsehlandschaft zu bieten hat, beweisen auch diese deutlich ruhigeren acht Episoden (eine davon gedreht von David Lynchs Tochter Jennifer, „Unter Kontrolle“). Lange währt die Zeit des Ausruhens jedoch nicht. Denn Rick knallen einmal mehr die Sicherungen durch, als er herausfindet, dass die von ihm begehrte Jessie (Alexandra Breckenridge, „American Horror Story“) vom trinkfreudigen Gatten misshandelt wird. Deanna sieht den häuslichen Frieden durch die Neuankömmlinge bald in Gefahr. Dafür sprechen auch Sasha (Sonequa Martin-Green), die den Tod geliebter Menschen nicht verarbeiten kann und lieber mit dem Präzisionsgewehr auf Zombiejagd geht, sowie Priester Gabriel (Seth Gilliam). Er bescheinigt Rick und Co. als Spiegel der eigenen Schuld Unmenschlichkeit und sorgt am Ende dafür, dass die „Kill or Be Killed“-Mentalität auch in Alexandria Einzug hält.
Neben den internen Spannungen stellt das Produktionsteam um Gale Anne Hurd („Hulk“) die Weichen für zukünftige Konflikte. Wer die Comic-Vorlage vom auch produzierenden Robert Kirkman kennt, der weiß, wer als nächster großer Unhold bereit steht: Der tyrannische Negan, für dessen Verkörperung wiederholt Kevin Durand („The Strain“) ins Gespräch gebracht wurde. Vor seiner Einführung steht allerdings eine weitere Gruppe skrupelloser Menschenjäger („Wolves Not Far“), die Untote mit in die Stirn geritztem „W“ hervorbringen. Ihnen begegnet auch der altbekannte (und äußerst Wehrhafte) Morgan (Lennie James), der Ricks Spur seit Terminus folgt. Die Zukunft von Alexandria und seinen Einwohnern, so viel jedenfalls steht fest, ist blutrot gefärbt. Von daher dürfen auch die Zuschauer für die hier gewährte Verschnaufpause durchaus dankbar sein.
Wertung: (8 / 10)