18 Monate ist es her, seit die Tochter des flämischen Unfallarztes Tom (Koen De Bouw, „Totgemacht – The Alzheimer Case“) verschwand. In dieser Zeit quälender Ungewissheit ist aus dem Mediziner ein Wrack geworden. Er verliert seine Freunde, wird vom Dienst suspendiert und trinkt. Nur die Hoffnung hat er nicht aufgegeben. Allabendlich verteilt er Fotos im Stadtgebiet und geht jeder noch so dünnen Spur nach. Ohne Erfolg. Die junge Charlotte (Maaike Neuville), eine Ausreißerin, bedeutet den Strohhalm, nach dem er gesucht hat. Er führt Tom in ein verschlafenes Dorf in den Ardennen, dessen Einwohner teils argwöhnisch auf den Neuankömmling reagieren. Doch je weiter er bohrt, desto tiefer sitzt der Schock über das schreckliche Geheimnis, das die Einheimischen umgibt.
Frank Van Mechelens „The Intruder – Der Eindringling“ ist ein düsteres Drama, dessen emotionale Schwere von Hauptdarsteller De Bouw hervorragend getragen wird. Der Beginn zeigt die intakte Welt des alleinerziehenden Mediziners, bei der Arbeit, mit seiner Tochter. Noch bevor sich der Zuschauer auf die Figuren einlassen kann, erfolgt der Bruch. Die Zeit springt vorwärts und entblößt die Veränderungen. Die ausgeblendete Vergangenheit hat tiefe Spuren in Toms Gesicht hinterlassen. Er ist gebrochen, vegetiert mehr als das er lebt. Eine Kollegin, zuvor noch als Liebesinteressentin angedeutet, ist plötzlich gegen ihn. Weil er einen möglichen Zeugen aus dem kriminellen Milieu in der Ambulanz bedrängt, wird sie verletzt. Es folgt ein sechsmonatiger Zwangsurlaub.
Einen Psychiater soll er aufsuchen, zu sich selbst zurückfinden. Auf die Suche geht Tom. Nicht nach sich selbst, sondern nach der Tochter, dem Phantom in seinem Kopf. Die harte Wahrheit über ihr Verschwinden präsentiert der Film später, mehr beiläufig als dass es der Atmosphäre dienlich wäre. Das spricht für die Nüchternheit der Betrachtung. Überhaupt geht die ruhige, sehr bedächtige Erzählung Hand in Hand mit dem differenzierten Spiel der Darsteller einher. Die Spannung des Thrillers schöpft sich aus der Ungewissheit, der Vorahnung einer bitteren Wahrheit.
Trotz aller überlegten, nie in pure Unterhaltungskonvention verfallender Abgeklärtheit schafft Van Mechelen ein unbequeme Spannung. Unterschwellig brodelt es gewaltig, Stück für Stück speit die Entwicklung des Plots neue Vermutungen aus. Das Gesamtbild setzt sich erst am Ende zusammen. Bis dahin zieht „The Intruder“ alle Register subtiler Suspense. Und das ist ein wahrer Glücksfall des belgischen Kinos. Unspektakulär, in seiner Auflösung sehr persönlich, in seiner Wirkung aber von beklemmender Glaubwürdigkeit. Große (kleine) Filme müssen eben nicht zwangsläufig großspurigen Produktionsverhältnissen entstammen.
Wertung: (7,5 / 10)