The Human Centipede II (Full Sequence) (GB/NL/USA 2011)

the-human-centipede-2Wer heute noch Kontroversen im Horrorfilm schaffen will, der muss schon jede Hemmung überwinden. In den vergangenen Jahren gelang das neben „A Serbian Film“ auch „The Human Centipede“. Nur suhlte sich der nicht in purer Explikation, sondern deutete die Folgen seiner bizarren Grundidee – das Aneinandernähen von drei Menschen (Mund an Darmausgang) zum Zwecke der Schaffung eines menschlichen Hundertfüßlers mit durchgehendem Verdauungstrakt – lediglich an. Das meiste Grauen spielte sich im Kopf des Zuschauers ab, so dass für Produzent, Autor und Regisseur Tom Six schnell feststand, dass die absehbare Fortsetzung nichts mehr der Vorstellung überlassen sollte.

Der größte Kniff präsentiert sich im veränderten Setting, das die Realität des Erstlings überwindet und auf der Meta-Ebene zum Film im Film macht. Der geistig behinderte Martin, Parkhauswächter in England, ist von der Geschichte und dessen pervertierter Grundausrichtung besessen. Er masturbiert sogar mit Schleifpapier ums Glied, wenn er das umstrittene Werk auf dem Laptop in der kleinen Arbeitskabine ansieht. Hauptdarsteller Laurence R. Harvey verlangt die Darbietung des kleinen, fettleibigen und psychologisch zerrütteten Martin einiges ab. Er überzeugt durchweg. Seine radikale Performance bleibt wortlos und erhält einzig über Körpersprache und Laute Ausdruck.

Gefährlich wirkt der Einzelgänger schon allein deshalb nicht, weil er dauernd einen Inhalator benutzt. Er ist ein Mann von geradewegs Mitleid erregender Existenz, ein vom Vater missbrauchtes Wrack. Für dessen Inhaftierung gibt die Mutter (Vivien Bridson), bei der Martin immer noch lebt, ihm die Schuld. Die genitale Verstümmelung ist damit bald erklärt. Auch der Drang, selbst Schmerz zuzufügen. Er verleitet ihn dazu, sich selbst einen menschlichen Hundertfüßler zu basteln. Ganz so wie im Film. Nur eben nicht mit drei menschlichen Körperpartien, sondern gleich mit 12. Um den schändlichen Plan in die Tat umzusetzen, mietet er eine Lagerhalle an und schlägt Menschen im Parkhaus mit einem Stemmeisen nieder.

„The Human Centipede II (Full Sequence)“ ist eine Endlosschleife aus sozialer Misere, sexueller Barbarei und expliziter Gewalt. Die deutsche Fassung wurde um satte 17 Minuten entschärft und selbst in Großbritannien wurde die Freigabe der unzensierten Version verweigert. Sicher nicht zu Unrecht, betrachtet man allein die Vergewaltigungssequenz, bei der sich Martin mit Stacheldraht ums Gemächt über das Ende seiner Schöpfung hermacht. Nun könnte man Tom Six satirisches Kalkül unterstellen, mit dem er die Gier des Publikums nach immer härterer Gewaltdarstellung schonungslos offenlegt. In Interviews jedoch offenbart der zweifelsfrei talentierte Filmemacher nicht selten selbst kaum mehr als die pure Lust am größtmöglichen Schockpotenzial.

An dem mangelt es seinem überharten Sequel wahrlich nicht. Um den Schrecken nicht allein auf die zeigefreudigen Gewaltexzesse zu reduzieren, präsentiert Six den Film in schwarz-weiß. Künstlerisch ist das zu begrüßen, da es den Streifen noch dreckiger erscheinen lässt und das Augenmerk von den in Farbe fraglos deutlicher hervorstechenden Splatter-Effekten lenkt. Doch so beachtenswert sich das Werk auf formaler Ebene auch geben mag, im Zentrum steht dennoch die zehrende Auskostung zerstörter Körper. In Großaufnahme schlägt Martin Zahnreihen mit einem Hammer ein und legt Kniesehnen frei, um diese zu durchtrennen. Die medizinische Korrektheit, mit der Six den Erstling ausstattete, weicht dabei einer Heimwerkerimprovisation mit gesteigertem Ekelfaktor.

Unter den Versuchskaninchen ist selbst eine schwangere Frau. Das Schicksal des Kindes lehnt sich an „A Serbian Film“ an. Die Grenze der Geschmacklosigkeiten ist bis dahin aber längst auf ein neues Hoch geschraubt – insbesondere durch das überspitzte, von Martin ausgelöste Fäkalfest, bei dem es als einzige Farbtupfer braun gegen die Kamera spritzt. Durch Ashlynn Yennie, eine der Hauptdarstellerinnen des Erstlings, erhält das Spiel mit der filmischen Realität zusätzliches Futter. Martin ködert sie mit einer Rolle im neuen Tarantino-Film und pflanzt sie an die Spitze des Hundertfüßlers. Der Rest der Zwangsprobanden wird einfach mit den Lippen ans Gesäß der jeweiligen Vorderperson getackert. Wer das filmische Extrem sucht, wird hier zweifelsfrei fündig. Nur fällt es einfach zu schwer, hier mehr zu sehen als eine selbstzweckhafte Sammlung grotesker Abartigkeiten.

Wertung: 3 out of 10 stars (3 / 10)

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