„You only need to hang mean bastards, but mean bastards you need to hang.“ – Ein echter Hänger: John Ruth
Der Western lässt Quentin Tarantino nicht los. Nach dem zweifach Oscar-prämierten „Django Unchained“ taucht er mit „The Hateful 8“ (alternativ „The Hateful Eight“ oder „The H8ful Eight“) erneut in die Zeit von Outlaws und Revolvermännern ein. Die Vorbilder sind diesmal jedoch nicht die Corbuccis, Castellaris oder Fullers, sondern insbesondere Genre-Ikone Sergio Leone. Der schuf mit „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968) einen Meilenstein der Filmgeschichte – und den unbestritten besten Western aller Zeiten. Von solchen Ehren ist Tarantino zwar auch diesmal ein gutes Stück entfernt, eine fulminante Pulp-Oper ist ihm mit seinem achten Werk dennoch gelungen. Allerdings geht die werbewirksame Rechnung nur auf, wenn man die beiden „Kill Bill“-Teile als eins betrachtet.
Wyoming, kurz nach Ende des Sezessionskrieges: Eine Kutsche bahnt sich ihren Weg über schneebedeckte Gebirgspässe. Im Innern sitzen der beinharte Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell, „Death Proof“) und die mit blauem Auge bedachte Mörderin Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh, „Miami Blues“). Seinem Spitznamen „The Hangman“ entsprechend will Ruth die steckbrieflich gesuchte Verbrecherin in der abgelegenen Gemeinde Red Rock abliefern, wo sie der Tod am Galgen erwartet. Doch die beiden Reisenden und Kutscher O.B. Jackson (James Parks, „Machete“) sind in der Einöde nicht allein. Erst ist es der drei Leichen hinter sich herziehende Prämienjägerkollege Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson, „Jackie Brown“), dann Chris Mannix (Walton Goggins, „Justified“), Sohn eines marodierenden Südstaatenoffiziers und neuer Sheriff von Red Rock, die in der eisigen Kälte um eine Mitfahrgelegenheit bitten.
„Well, cut my legs and call me shorty!“ – Verblüfft: Chris Mannix
In den Auftakt investiert Tarantino Zeit. Viel Zeit. An klassischer Kurzweil war ihm nie gelegen, doch dies erste von sechs Kapiteln ist die kunstfertige Sublimierung erzählerischer Entschleunigung. Neben den gewohnt brillanten Dialogen, die unter anderem um einen vom ermordeten Präsidenten Abraham Lincoln persönlich verfassten Brief an Warren kreisen, begeistert jedoch auch die Optik. Gedreht wurde im fast vergessenen Format Ultra Panavision 70, das Meisterwerken wie „Ben Hur“ (1959) ihren monumentalen Anstrich verpasste. In ausgewählten Kinos wird der Film im vorgesehenen Ultra-Breitwandformat zu sehen sein, inklusive Ouvertüre und Pause. Die Akribie, mit der Tarantino seine Vision zum Leben erweckt, war im Oeuvre des nerdigen Ausnahme-Auteurs nie beeindruckender. Dafür spricht – neben der Nutzung von 15 Original-Kodak-Objektiven – auch die Verpflichtung von Leones Hauskomponist Ennio Morricone für die Filmmusik.
Für die Soundtracks von „Kill Bill“ und „Inglourious Basterds“ hatte der heute 88-jährige bereits je ein Stück beigesteuert. Nach langem Bitten und Werben stimmte er diesmal zu, den gesamten Score zu komponieren. Auch diese Facette verblüfft. Denn der Oscar-nominierte Morricone erzeugt teils experimentelle klangliche Welten, die zum Erbe seiner großartigen Western-Untermalungen („The Good, The Bad and the Ugly“, „Spiel mir das Lied vom Tod“) in angenehm starkem Kontrast stehen. Aber zurück zur Geschichte. In einer einsamen Postkutschenstation suchen die Reisenden Zuflucht vor einem aufziehenden Schneesturm. Dort begegnen sie dem Mexikaner Bob (Demián Bichir, „Machete Kills“), der sich als Vertretung der eigentlichen Besitzerin zu erkennen gibt, sowie Scharfrichter Oswaldo Mobray (in Christoph Waltz-Manier: Tim Roth, „Reservoir Dogs“), dem undurchsichtigen Joe Gage (Michael Madsen, „Kill Bill“) und dem alten Ex-Südstaaten-General Sandy Smithers (Bruce Dern, „Driver“).
„Move a little strange, you’re gonna get a bullet. Not a warning, not a question… A bullet!“ – Kein Mann leerer Versprechungen: Major Marquis Warren
Der Titel kommt natürlich nicht von ungefähr. In Anlehnung an sein gefeiertes Debüt „Reservoir Dogs“ (1992) brechen unter den Eingeschlossenen bald Konflikte auf. Dabei verhandelt Tarantino einmal mehr bekannte Themen: Rassismus und Menschen, die vorgeben zu sein, was sie nicht sind. Der Rassismus lässt sich in der aufgewühlten Zeit nach dem amerikanischen Bürgerkrieg trefflich einbinden. Samuel L. Jackson läuft dabei mit einer blumig ausgeschmückten Geschichte von einem ganz besonderen Blowjob zu Höchstform auf. Tarantino erhöht den Druck in diesem Kessel hasserfüllter Unsympathen kontinuierlich und lässt ihn nach großartig geschwätzigem Vorlauf in einem blutigen Infernal detonieren. Dabei wird eimerweise Blut gekotzt, Schädel explodieren und Körper werden zeigefreudig mit Kugeln gespickt.
Das Setting, eine Hommage an Sergio Corbuccis „Leichen pflastern seinen Weg“ (1968), wird vom ebenfalls Oscar-nominierten Kameramann Robert Richardson („Inglourious Basterds“) kongenial eingefangen. Die Breitwandbilder werden sowohl im auswärtigen Schneetreiben als auch im beengten Innern der Hütte förmlich zelebriert. Das Ensemble, ein Schaulaufen alter Tarantino-Weggefährten, agiert famos. Als die Revolver nach mehr als einer Stunde die Dialoge ablösen, erfolgt unter Mitwirkung von Channing Tatum („White House Down“) und Zoë Bell („Death Proof“) ein von Off-Erläuterungen begleiteter Blick zurück. Die zentrale Rolle, das scheint früh klar, fällt der für Golden Globe und Oscar-nominierten Jennifer Jason Leigh zu. Sie reißt das männerdominierte Genre mit ihrer Performance letztlich an sich und beschert dem rüden Blutvergießen einen fast schon überraschend geradlinigen Rahmen. Damit ist „The Hateful 8“ weniger hintergründig und insgesamt schwerer zugänglich als „Django Unchained“, darüber aber keineswegs weniger meisterlich.
Wertung: (8 / 10)