Als moderner Actionklassiker ging „Speed“ Anfang der Neunziger in die Geschichte ein. Was aber kaum jemand wusste, der als originell gefeierte Thriller um einen mit Sprengstoff gespickten Linienbus, der bei Verringerung des Tempos unter eine bestimmte Marke explodiert, ist in seinen Grundzügen komplett geklaut. Pate stand Jun’ya Satôs („Tod im Fahrstuhl“) Katastrophen-Krimi „The Bullet Train“, der in deutscher (um rund eine Stunde gestraffter!) Auswertung „Panik im Tokio-Express“ betitelt wurde. Darin wird, der englische Name verrät es, ein Passagierzug mit einer Bombe versehen, was 1.500 Menschen in Todesgefahr bringt und die Behörden unter (äh) Zugzwang setzt.
Satte zweieinhalb Stunden walzt Satô die Story aus und zeigt die Anstrengungen von Polizei, Politik und Bahnbetreibern, den Wettlauf mit der Zeit zu gewinnen. Die Bombe wird aktiviert, sobald der Hochgeschwindigkeitszug Hikari 109 schneller als 80 Stundenkilometer fährt. Sobald Zugführer Aoki (mal ohne Handkanten: Sonny Chiba, „G.I. Samurai“) dies Tempo unterschreitet, detoniert der Sprengsatz. Bis zum Erreichen der Endstation bleiben nur wenige Stunden. Die Passagiere reagieren bald panisch, bleiben entgegen klassischer US-Klischees aber eine weitgehend anonyme Masse ohne dramaturgisch aufgeheizte Identifikationsfiguren. Ungewöhnlich distanziert beschreibt der Film Handlungsweisen und gewährt eine intensivere Charakterisierung allein den Tätern.
Die werden angeführt vom insolventen Unternehmer Okita (vielschichtig: Ken Takakura, „Yakuza“), den die Rezession aus der Bahn warf und seine Ehe zerstörte. Mit dem Politaktivisten Koga (Kei Yamamoto, „Jenseits der Hölle“) und dem jungen Fujio (Eiji Gô, „Graveyard of Honor“) setzt er den perfiden Erpressungsplan in die Tat um und verlangt fünf Millionen US-Dollar für das Leben der Passagiere. Während die Polizei die Lösegeldübergabe vorbereitet und versucht den Verbrechern habhaft zu werden, bemüht sich der besonnene Streckenleiter Kuramochi (Ken Utsui, „Attack from Space“), das hochtechnisierte Sicherheitssystem des Zuges zu überwinden. Andernfalls könnte die vollautomatische Computersteuerung verheerende Bremsmanöver einleiten.
Im Gegensatz zur Handlung kommt der Hikari 109 rasch in Fahrt. Doch trotz des weitgehend ruhigen Erzählflusses und einer gewissen Langatmigkeit hält Satô den passablen Spannungsbogen aufrecht. In Rückblicken werden die Schicksale der Erpresser und ihre Beweggründe für die Tat erörtert. Als Fujio beim ersten Versuch der Geldübergabe getötet wird und die Polizei Koga als Mittäter identifiziert, ist es allein an Okita die Verfolger zu narren. Wenn er ein Diagramm zu Platzierung und Entschärfung der Bombe in einer Hotelbar hinterlegt, diese aber durch eine unglückliche (oder reichlich alberne) Fügung Feuer fängt, so überwiegt letztlich doch das reißerische Moment. Takakuras nuanciertes Spiel und der oft dokumentarische Erzählstil machen „The Bullet Train“ aber über seine Makel hinweg sehenswert.
Wertung: (6 / 10)