„Truth is like poetry. And most people fucking hate peotry.“ – Aufgeschnappte Wahrheit in einer Washingtoner Bar
Als die Finanzkrise im September 2007 über die Weltwirtschaft hereinbrach, war der Schock gewaltig. Nicht allein bei der breiten Bevölkerungsmasse, die am Ende die Zeche zahlen durfte, sondern auch bei ihren Verursachern. Einer der Ausgangspunkte war das Platzen der US-amerikanischen Immobilienblase, die vorrangig durch Collaterized Debt Obligations (CDO), also Portfolios festverzinslicher Wertpapiere, zu einem unkontrollierbaren Investmentkomplex anwuchs. Enorm risikoreiche Kreditforderungen ohne Bonitätsaussicht, meist aus Hypotheken, wurden verdichtet und als sichere Investitionsmöglichkeiten auf dem Kapitalmarkt angeboten. Staatliche Aufsichtsorgane versagten, Ratingagenturen bescheinigten den fragwürdigen Finanzprodukten Sicherheit. Die Profitgier einzelner verbrannte Milliarden – und kostete Millionen Menschen Haus und Job.
Eine Gruppe Finanzspezialisten sah die Katastrophe voraus. Diesen Prädiktoren ist „The Big Short“ gewidmet, mit dem Komödien-Regisseur Adam McKay („Stiefbrüder“) den Wahnsinn von Bankern und Spekulanten in einen visuell rauschhaften Bildersturm kleidet. Die Oscar-nominierte Inszenierung versucht dem komplexen Thema – und der Sachbuchvorlage Michael Lewis‘ („Moneyball“) – durch satirische Auflockerung und das Vordringen in die Metaebene Herr zu werden. Sachverhalte oder Fachbegriffe werden von einem Blondchen in der Badewanne, Star-Koch Anthony Bourdain oder Teenie-Star Selena Gomez („Spring Breakers“) über simplifizierte Sinnbilder erörtert. Fraglos trägt diese Herangehensweise zum Unterhaltungswert bei. Bisweilen lässt sie das sehenswerte Werk aber unnötig aufgebauscht erscheinen. Egalisiert wird dieser kleine Makel durch die hervorragend aufspielende Darstellerriege, in deren Reihen u.a. Steve Carell („Foxcatcher“) einmal mehr zeigen kann, dass weit mehr in ihm steckt als der sympathische Comedy-Clown.
Das soll jedoch nicht bedeuten, bei McKays Mahnmal gegen die (Ohn-)Macht der Banken würde der Humor zu kurz kommen. Ganz im Gegenteil. Im Stile von „Wolf of Wall Street“ funktioniert Übertreibung auch hier als Stilmittel, über das die bittere Realität bekömmlich aufbereitet wird. Die Besonderheit liegt dabei in den Figuren, deren Fanal im Grunde keinem aufklärerischen Kreuzzug folgt, sondern (zunächst) nur der eigenen Bereicherung. Sie sind keine Helden, sondern lediglich Finanzjongleure mit Gewissen. Einer von ihnen ist der exzentrische Michael Burry (Oscar-nominiert: Christian Bale, „The Fighter“), der den Finanzsektor barfuß und mit laut aufgedrehter Metal-Musik analysiert. Ihm dünkt als erster, dass das Geschäft mit den CDOs zum Scheitern verurteilt ist. Doch statt zu warnen, spekuliert er bei verschiedenen Banken mit insgesamt 1,3 Milliarden Dollar.
Durch Burrys Geschäfte wird der aalglatte Investment-Banker Jared Vennett (Ryan Gosling, „The Place Beyond the Pines“) auf die faulen Kreditprodukte aufmerksam und findet im aufbrausenden Hedgefond-Manager Mark Baum (Carell) und seinem Team – u.a. Rafe Spall („Anonymus“) und Jeremy Strong („Mob City“) – willige Partner. Um die Chancen zu bewerten, verschafft sich Baum ein Bild vom Immobilienmarkt und beginnt zunehmend tiefer zu bohren, um das gesamte Ausmaß des sich abzeichnenden Kollapses zu begreifen. Das gelingt parallel auch den unabhängigen Jung-Finanzprofis Charlie Geller (John Magaro, „Carol“) und Jamie Shipley (Finn Wittrock, „American Horror Story“), die sich mit Hilfe des desillusionierten Business-Aussteigers Ben Rickert (auch Produzent: Brad Pitt, „12 Years a Slave“) massiv bereichern wollen.
So steuert das Ensemble – zu dem auch Marisa Tomei („The Wrestler), Max Greenfield („New Girl“) und Byron Mann („Arrow“) gehören – auf Erkenntnis und Abgrund zu, adressiert bei Wahrheitsbeugungen auch mal direkt den Zuschauer und steht am Ende so reich wie niedergeschlagen da. Bemerkenswert zynisch ist dabei insbesondere die nur Sekunden währende Mitteilung, System und Finanzwelt hätten aus der Krise gelernt. Denn die Realität, dafür braucht es nicht einmal die finalen Texttafeln, sieht selbstredend exakt gegensätzlich aus.
Wertung: (8 / 10)