„…Now this here story I’m about to unfold took place back in the early ’90s – just about the time of our conflict with Saddam and the Iraqis. I only mention it because sometimes there’s a man… I won’t say a hero, ‚cause, what’s a hero? But sometimes, there’s a man. And I’m talkin‘ about the Dude here. Sometimes, there’s a man, well, he’s the man for his time and place. He fits right in there. And that’s the Dude, in Los Angeles. And even if he’s a lazy man – and the Dude was most certainly that. Quite possibly the laziest in Los Angeles County, which would place him high in the running for laziest worldwide. But sometimes there’s a man, sometimes, there’s a man….“
Den richtigen Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort markiert in Joel und Ethan Coens urkomischer Neo-Noir-Groteske „The Big Lebowski“ Jeff Bridges („Arlington Road“), zumeist gehüllt in Bademantel, Unterhemd und transparente Wasserlatschen aus Kunststoff. Diese Ausgeburt eines Slackers, dickbäuchig, ungekämmt und fernab jeglicher Rasurambitionen domestiziert, repräsentiert im angesiedelten Jahre 1991, dem Auftakt zur ersten amerikanischen Intervention im fernen Irak, als stolzes Restrudiment die goldene Hippieära der späten Sechziger. Die kostbare Zeit des erwerbslosen Lebens vertreibt er sich zu einem gehörigen Teil mit dem heroischen Herunterspülen von Cocktails der Gangart White Russian, dem gemütlichen Konsum von Marihuana in der Badewanne bei gleichgeschalteter atmosphärischer Untermalung durch Walgesänge oder mit seinen Freunden auf der Bowlingbahn.
Die Freunde des Dudes sind ein Kaliber für sich: Der eine ist der cholerische Vietnamveteran und Freizeit-Jude Walter Sobchak (John Goodman, „Arizona Junior“), der andere der schüchterne, kaum zur Kenntnis genommene Donnie (Steve Buscemi, „Miller’s Crossing“). Doch eines Abends erwarten den verdutzten Jeffrey Lebowski (Bridges), von aller Welt lediglich als der ´Dude´ angesehen, ersatzweise aber auch als ´Duder´, ´The Dudeness´ oder ´El Duderino´, im heimischen Wohnzimmer zwei Schläger, welche erst Schulden seiner angeblichen Frau eintreiben wollen und mit Blick auf den offensichtlichen Irrtum ihres Treibens den geliebten Perserteppich des eingefleischten Junggesellen auf urinalem Wege verunreinigen. Von Walter erfährt der `Dude` beim Bowlen von der Existenz eines Millionärs gleichen Namens in Pasadena und so beschließt er, für den ihm entstandenen Schaden beim Geschäftsmann Jeffrey Lebowski (David Huddleston, „Unternehmen Capricorn“) adäquaten Ersatz einzufordern.
Doch der an den Rollstuhl gefesselte Unternehmer ist von der Erscheinung und den Problemen des vermeintlichen Opfers wenig angetan und trägt dem heruntergekommenen Namensvetter schlicht lautstark auf, sein pompöses Anwesen zu verlassen. Den `Dude` stört dies herzlich wenig, lässt der sich doch prompt von Lebowskis erzloyalem Untergebenen Brandt (Philip Seymour Hoffman, „Boogie Nights“) einen Teppich seiner Wahl aus dem Besitz des wohlsituierten „Big Lebowski“ zur Mitnahme aushändigen. Jedoch ruft sich der einflussreiche Geschäftsmann schneller in des `Dudes` Erinnerung, als es diesem lieb sein könnte und beordert ihn in dringlicher Angelegenheit zu seinem Herrensitz. Dort kann der ´Dude´ die vorangegangene Entführung der lebensfreudigen und merklich jüngeren Ehegattin Lebowskis, des ehemaligen Pornosternchens Bunny (Tara Reid, „American Pie“), in Erfahrung bringen und wird für ein erhöhtes Entgeld damit beauftragt, das per Briefsendung geforderte Lösegeld an die Verbrecher auszuhändigen.
Diese eher simple Mission liefert denn auch den Auftakt zu einer aberwitzigen Kette undurchsichtiger Ereignisse, in dessen verworrenem Geflecht neben dem anstehenden Halbfinale beim Liga-internen Bowlingturnier gegen Erzrivalen Jesus Quintana (John Turturro, „Barton Fink“), streng Gläubiger Passionsspieler mit anrüchiger Vergangenheit, auch die Rollen des Hardcore-Produzenten Jackie Treehorn (Ben Gazzara, „Road House“), dreier deutscher Nihilisten (Peter „Fargo“ Stormare, Flea und Torsten Voges), eines abgehalfterten Privatschnüfflers (Jon Polito, „The Man Who Wasn’t There“) und nicht zuletzt die von Lebowskis einziger Tochter, der exzentrischen wie feministischen Künstlerin Maude (Julianne Moore, „Magnolia“) augenscheinliche Aufmerksamkeit bedürfen.
„The Big Lebowski“ berstet schier vor übermütiger Erzählkunst und genreübergreifenden Querverweisen, deren verzweigter Zitatenreichtum von eingefahrenen Westernstandarten wie dem rastlos einherkullernden verdorrten Dornbusch in der Eingangssequenz über vertrackte Noir-Räuberpistolen im Geiste Philip Marlowes bis hin zu Revuenummern im Stile opulent ausgestatteter Musicals der 30er- und 40er-Jahre reicht. Verschmitzt, das verschachtelte Handlungsgerüst jedoch in keiner Phase auf plumpe Lacher ausrichtend, lassen Joel und Ethan Coen („Blood Simple“) sowohl der Geschichte als auch den Figuren genügend Raum zur vollen Entfaltung und vollführen in gemächlicher, beinahe episodischer Narrativität ihre spitzbübischen Geniestreiche. In wahnwitzigen Ohnmachtsphantasien, geschwängert durch hintersinnige Metaphorik, erklimmt die fulminante Inszenierung eine Vielzahl unvergesslicher Höhepunkte und enthüllt für das geringe Budget von 15 Millionen Dollar geradezu erstaunliche Ausstattungen voller Detailverliebtheit und Ausdruckskraft.
Behände und mit dem Geschick wahrer Virtuosen lenken Joel und Ethan Coen die skurillen Schicksale ihrer Protagonisten und stellen eine greifbare Rekonstruktion der kriminellen Begebenheiten zugunsten eines übergeschnappten Schaulaufens der liebevoll mit unzähligen Manien und Macken ausstaffierten Charaktere in den Hintergrund. In der Paraderolle seines Lebens brilliert der urkomische Jeff Bridges als schmierbäuchiger wie desinteressierter Antiheld, während das inhaltliche Gefüge so manch üblichen Verdächtigen des Coen’schen Kinouniversums zur kauzigen Schau stellt. Neben ihnen treten Sam Elliott („Wir waren Helden“), David Thewlis („Sieben Jahre in Tibet“) sowie die Musiker Flea, Aimee Mann und Jimmy Dale Gilmore in Gastauftritten in Erscheinung. Doch auch im Hintergrund tummelt sich mit Kameramann Roger Deakins und Komponist Carter Burwell weiteres kaum verzichtbares Coen-Regular.
So verschmelzen leninistische Philosophien, Wodkacocktails und Bowlingexkurse unter dem inszenatorischen Deckmantel eines facettenreichen Kidnapping-Plots mit Hang zur Konfusion zu einem kinematographischen Faszinosum, einer launigen Revue mit erhöhtem Suchtfaktor. Denn der ´Dude´ ist längst zur Kult- und ideologischen Leitfigur unzähliger Couch-Potatoes avanciert. Die norwegische Bowlingvereinigung betreibt gar offene Propaganda mit dem kugelschiebenden Lebenskünstler. Mit „The Big Lebowski“ haben die Coens eine grandiose Reminiszenz an die Ursprünge ihres Schaffens gestaltet. Dass der komödiantische Meilenstein, der an den amerikanischen Kinokassen in den letzten Zügen gerade seine Kosten wieder einzuspielen vermochte, mehr als 250 Mal den Terminus „Fuck“ in all seinen illustren Erscheinungsformen feilbietet, reiht selbigen in Anbetracht der 113-minütigen Spielzeit ähnlich wie die Faulheit des ´Dudes´ in die vordersten Plätze ein. Die Originalfassung ist denn auch immer die richtige Wahl, treibt doch erst sie den Phrasenreichen Wortwitz zu voller Blüte. Nicht nur für cineastisch angehauchte Kiffer mit Bowlingneigungen absolutes Pflichtprogramm!
Wertung: (10 / 10)