Wer glaubte, dem Found Footage-Horror wären keine neuen Perspektiven mehr abzuringen, wird vom Oscar-prämierten Regisseur Barry Levinson („Rain Man“) eines Besseren belehrt. Der von ihm gedrehte und mit „Paranormal Activity“-Schöpfer Oren Peli auch produzierte Öko-Thriller „The Bay“ präsentiert im Sinne politischer Online-Aufklärungsarbeit Leaked Footage-Grusel mit mannigfaltigen Realitätsbezügen. Autor Michael Wallach verleiht der Geschichte gesteigerte Brisanz, indem sie von den Medien – etwa im Gegensatz zu den in Louisiana und Arkansas tausendfach tot vom Himmel gefallenen Vögeln – nie publik gemacht wurde. Daraus entsteht nicht allein ein packender Schocker, sondern auch bittere Kritik am Massenkonsum.
Per Chat berichtet Donna Thompson (Kether Donohue, „Boy Wonder“) von den schrecklichen Ereignissen, die sich am Nationalfeiertag 2009 in der Küstenstadt Claridge in Maryland zugetragen haben. Als Nachwuchs-Reporterin war sie vor Ort, um über die Feierlichkeiten zu berichten. Für eine Internet-Enthüllungsplattform, der sämtliches von Staatsseite eingezogenes Bild- und Tonmaterial (von Fernsehreportagen über Handyvideos bis hin zu SMS-Kommunikationen) zugespielt wurde, kommentiert Donna mit einigem Abstand einen Medien- und Stilmix, der das Found Footage-Genre eindrucksvoll zur Mockumentary erhebt. Einleitende Füllszenen macht das ebenso überflüssig wie die üblichen Ausflüchte, warum dieser oder jener Protagonist dauerhaft die Kamera schwenkt.
Wenige Wochen vor der Katastrophe wurden die Leichen zweier Ozeanographen entdeckt, die in der anliegenden Chesapeake Bucht nach Ursachen für die zunehmende Verschmutzung fahndeten. Die filmische Dokumentation der Wissenschaftler verdichtet sich mit Donnas Augenzeugenbericht sowie Bildern des sich rasant ausbreitenden Schreckens zu einer spannenden Fake-Rekonstruktion. Die erteilt bald sämtlichen Umwelt-Aktivisten und Tierschützern Recht, wenn die Kontamination der Bucht durch Exkrement-Berge der umliegenden Hühnerfarmen veranschaulicht wird. Und weil das Mastgeflügel mit Wachstumshormonen vollgepumpt wurde, entsprechen die Folgen beliebten Formeln des Tier-Horrorfilms.
Isopode, kleine Krebstiere, sind durch die Verschmutzung der Bucht zu gefährlichen Killern mutiert. Die Opfer werden, nachdem die parasitären Organismen durch Trinkwasser oder Fischverzehr in den Körper gelangt sind, buchstäblich von innen zerfressen. Vom örtlichen Krankenhaus wird der anfänglich als bakterielle Infektion interpretierte Ausbruch an die Seuchenbehörde gemeldet. Doch dort ist man lange ratlos. Zu lange. Levinson zeigt die Ausbreitung der Katastrophe detailreich, nachvollziehbar und vor allem glaubwürdig. Manche Schocks und nicht zuletzt die Borniertheit des Bürgermeisters mögen konventionell erscheinen, in seiner Gesamtheit aber bietet „The Bay“ nicht weniger als die originelle Fusion von Pseudo-Reality-Horror und investigativer Dokumentation.
Wertung: (7,5 / 10)