Anfang der Neunziger wurde Deutschland von einer Woge erfasst. Rechtsextreme Brandanschläge auf Asylantenheime sorgten für Betroffenheit, Volkes Aufbegehren und leider – in einigen traurigen Fällen – auch für Beifall. Die Wut der rationalen Bürgerschaft, die mit Schrecken einer neuen Kaltblütigkeit der Neonazis entgegenblickte, erhielt ihr Ventil einmal mehr (generationsübergreifend) über die Musik. In Köln fand 1992 „Arsch huh, Zäng ussenander“ statt, ein Festival mit Beteiligung u.a. von BAP und Willy Millowitsch. Auf nationaler Ebene erstarkte der Punk, DIE ÄRZTE meldeten sich mit „Die Bestie in Menschengestalt“ zurück, der Hip Hop trat seinen Siegeszug an und der Crossover überrollte die Republik.
RUN DMC und AEROSMITH hatten mit „Walk This Way“ schon in Mitte der Achtziger vorgemacht, dass Rap und Rock Seite an Seite funktionieren konnten. Ganz zu schweigen von den BEASTIE BOYS, deren Wurzeln ohnehin im Punk liegen. Solche wie Ice-T, der mit BODYCOUNT den Rap-Core etablierte, stießen in eben diese Nische. Hierzulande waren es DIE FANTASTISCHEN VIER, die mit der Metalband MEGALOMANIAX paktierten und unter dem Namen MEGAVIER die Hits des urdeutschen Hip Hop in brachialen Sound übersetzten. Daneben waren es THUMB, in erster Linie aber SUCH A SURGE, die den Crossover maßgeblich – und weit vor Spaßcombos wie den H-BLOCKX, prägen sollten.
In Braunschweig hatten sie sich 1992 gegründet. Unwesentlich später folgte die erste EP. Das Debütalbum „Under Pressure“ folgte, bereits über Majorlabel Sony/Epic veröffentlicht, drei Jahre später. SUCH A SURGE trafen den Puls der Zeit. Alternativer Rock paarte sich mit Sprechgesang, von gleich zwei Sängern wurde auf Deutsch, Englisch und Französisch gereimt. Textzeilen wie „In der Masse kann man nicht mehr sehen was für ein kleiner Wicht du wirklich bist, deswegen bin ich lieber Anarchist“ waren die Reaktion auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse. Die Jugendsubkultur hatte wieder eine Stimme in der Öffentlichkeit, die sich laut gegen den Stillstand des adulten Wahnsinns – und die Verdummung durch den Eurotrash – auflehnte.
Die Platte trumpfte mit Sprengkraft auf, die deutsche Musik in dieser Deutlichkeit vermissen ließ. Allen voran die Tracks „I’m Real“, Schatten“ und „Gegen den Strom“ mehrten die Popularität der Band rasend schnell. Frei von Durststrecken bleibt das Album nicht, davon abgesehen aber unangepasst genug, um nicht vom Zahn der Zeit aufgerieben zu werden. Getragen von der zügellosen Experimentierfreude explorativer Kreativität jongliert das Sextett mit verschiedenen Stilformen, darunter auch die Lässigkeit des Jazz. Den BEASTIE BOYS, bereits erwähnten Vorreitern im Geiste, zollen SUCH A SURGE Tribut, indem der Refrain von „Slow and Low“ als Scratch-Sample im Titeltrack Verwendung findet. Ein abwechslungsreicher, ein unbestrittener Klassiker.
Wertung: (8 / 10)