Katsuhiro Otomo ist einer der größten Anime-Künstler der Welt. Mit dem postapokalyptischen Cyberpunk-Spektakel „Akira“ (1988) revolutionierte er den Trickfilm und untermauerte seinen Status durch die Episodenverkettung „Memories“ (1995) und das Drehbuch zu „Robotic Angel“ (2001). Otomos jüngstes Werk „Steamboy“ benötigte acht Jahre Produktionszeit und verschlang 20 Millionen Euro. Der damit kostspieligste japanische Animationsfilm aller Zeiten vereint 180.000 Illustrationen und 400 3D-Animationen zu einer fesselnden und visuell atemberaubenden Geschichte, welche die Gier nach Macht zum zentralen Themenschwerpunkt erhebt.
England, 1866. Der junge Ray Steam wohnt mit seiner Mutter am Stadtrand von Manchester. Sein Vater und Großvater sind geniale Erfinder, die im Auftrag der amerikanischen O´Hara-Stiftung die Entwicklung der Dampfmaschine vorantreiben. Ray hat das Talent der Familie geerbt, was ihn bald in große Bedrängnis bringt. Als er nämlich ein Paket von seinem Großvater erhält, ruft dessen Inhalt zwielichtige Männer auf den Plan. Der darin enthaltene Steamball ermöglicht die Kompression von Dampf, was zielgerichtete Energieschübe ohne Druckverlust garantiert. Mit Hilfe des Industriellen Stephenson kann Ray die Verfolger abschütteln, wird letztlich jedoch von Schergen der O´Hara-Stiftung in einem Luftschiff entführt.
In London trifft Ray seinen totgeglaubten Vater wieder, welcher der Menschheit auf der Weltausstellung sein Lebenswerk vorführen will – ein durch Dampfkraft mannigfaltig einsetzbares Gebäude. Vater und Großvater haben sich über den Einsatz von Steamball und Dampfschloss zerstritten, weshalb der Ältere versucht die Pläne des Sohnes zu durchkreuzen. Inmitten dieses Konflikts versucht Ray schlimmeres zu vermeiden. Denn nicht nur, dass die O´Hara-Stiftung mit Hilfe der Steam´schen Erfindungen ein mobiles Heer geschaffen hat, auch Stephenson und die britische Armee proben unter Verwendung des Steamball eine militante Mobilmachung. Bei einer Effizienzvorführung für ausländische Investoren mündet die Situation in einen verlustreichen Kleinkrieg.
Entgegen früherer Werke blickt Katsuhiro Otomo in „Steamboy“ in der Geschichte zurück. Mit wenig Rücksicht auf historische Fakten spinnt er eine kluge Allegorie auf Militarismus und Wettrüsten. Der Blickwinkel ruht dabei weiterhin auf der Jugend, hier Ray Steam und Scarlett O´Hara, Gründertochter der kriegstreiberischen amerikanischen Stiftung. Der Schauplatz des viktorianischen England dient Otomo als Ausweichmöglichkeit, nicht unmittelbare Fingerzeige auf politische Strömungen der Gegenwart zu vollziehen. Das Konzept geht auf, vor allem künstlerisch, ist der komplex verschachtelte Film doch ein detailfreudiger Mix aus regressiver Utopie und Stimmungsbild einer Zeit des Umbruchs.
Der Hintergrund der industriellen Revolution ermöglicht Otomo prachtvolle Bilderwelten aus animiertem Glas und Stahl. In einem infernalischen Schlussakt, bei dem die sich ausweitenden Kampfhandlungen Teile Londons in Schutt und Asche legen, nähert sich der Regisseur dem Finale seines Meisterwerks „Akira“ an. Dieser mechanisierte Ausklang mag etwas ausgewalzt erscheinen, doch benötigt Katsuhiro Otomo diese Periode der Zerstörung zur Bündelung seiner Intention. Wem diese in Anbetracht des sperrigen Inhalts zu schlicht erscheint, der kann sich zumindest an der brillanten Bilderflut ergötzen. Geschichte schreiben wird „Steamboy“ wohl nicht, obgleich die seine opulente Trickfilmkunst mit Anspruch verknüpft. Genrefans sollte das eigentlich genügen.
Wertung: (8 / 10)