Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (D 2012)

speed-auf-der-suche-nach-der-verlorenen-zeitZeit ist Geld. Dies Mantra des Kapitalismus geht einher mit dem steten Streben nach Wachstum. Prozesse müssen optimiert werden, damit sich schneller Gewinne erzielen lassen. Börsengeschäfte sind im Zeitalter der Computertechnologie auf Millisekunden abgestimmt. Der menschliche Geist kann da nicht mehr mithalten. Überhaupt beschleunigt die Technik mit dem Versprechen immerwährender Erreichbarkeit und globaler Vernetzung eine Spirale akuter Rastlosigkeit. Nachrichten werden in Echtzeit aktualisiert, die Teilhabe am Weltgeschehen ist meist nur einen Mausklick entfernt. In diesem Überangebot an Reizen und Einflüssen kann von Ruhe kaum noch die Rede sein.

Auch den Berliner Dokumentarfilmer Florian Opitz („Der große Ausverkauf“) beschlich irgendwann das Gefühl, das die Zeit immer knapper wird. Und das, obwohl sie durch moderne Technologien doch eigentlich überall eingespart werden soll. Woran also liegt es, dass das Leben immer schneller abzulaufen scheint und oftmals Zeit für die wirklich wichtigen Dinge fehlt: Familie und Freunde. In „Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ geht Opitz dem Phänomen nach. Aus der eigenen Perspektive, dem eigenen Lebensrhythmus heraus. Er spricht mit Wissenschaftlern, ausgewiesenen und selbsternannten Experten und reist um die Welt, um Methoden und Mechanismen von Be- und Entschleunigung zu ergründen. Das gelingt mit Ruhe, selbstreflexiver Ironie und schicken Bildern von Kameramann Andy Lehmann.

Der Anfang gehört den elektronischen Kommunikationsmitteln. Ob Computer, Mobiltelefon oder soziales Netzwerk, der Mensch scheint sich sklavisch dem Zwang dauernder Verfügbarkeit unterworfen zu haben. Aber das allein wäre zu simpel. Also folgt der Schwenk ins Politische. Kapitalismuskritik klingt an, wenn Opitz im Londoner Finanzviertel über die Mechanismen des technisierten Profits aufgeklärt wird. Es folgen Beispiele von Aussteigern, die für sich die Ruhe finden oder in bewährter Manier Entschleunigung und Naturschutz erzwingen. Wie Opitz Film selbst sind sie voller Widersprüche. Aber es ist gerade diese Offenheit, die entlarvt und den Zuschauer zwingt, sich und seinen Lebensstil zu hinterfragen.

Denn eine gemeingültige Formel der Entschleunigung, soviel sollte feststehen, kann (und will) der Filmemacher nicht bieten. Sonst wäre er ja kaum besser als der eitle Autor und Zeitexperte, dessen Vortrag er anfangs beiwohnt – und der statt Antworten Zaubertricks bietet. So muss sich jeder seine eigenen Rosinen aus dem Gezeigten picken. Hinweise jedenfalls bietet Opitz genug. Ob nun durch den Trip nach Bhutan, wo das Bruttonationalglück in der Verfassung geregelt wurde, oder aus dem Mund einer bekannten Unternehmensberaterin, die auf der Fahrt vom Flughafen zum Kundentermin unverständlich zusammengestückelte Floskeln murmelt. Die Lösung liegt in jedem Einzelnen. Das mag letztlich etwas unbefriedigend wirken. Aber mehr als die Eigenverantwortung zum kritischen Hinterfragen anzuregen, kann der Film auch unmöglich erfüllen.

Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

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