Silent Night – Stumme Rache (USA 2023)

Für Actionfans war die Nachricht eine kleine Sensation: John Woo dreht wieder in Hollywood! Hongkongs Heroic-Bloodshed-Maestro, der das moderne Genre-Kino mit Werken wie „A Better Tomorrow“ (1986), „The Killer“ (1989) oder „Hard Boiled“ (1992) geprägt hat, kehrte der US-Filmindustrie vor dem Historien-Epos „Red Cliff“ (2008) den Rücken. Zuvor hatte er für diese Kassenschlager wie „Face/Off“ (1997) oder „Mission: Impossible 2“ (2000) gedreht. Sein Comeback-Werk ist „Silent Night“, ein dem Titel entsprechend wortkarger Selbstjustiz-Kracher, in dem Neuzeit-„RoboCop“ Joel Kinnaman den Gangs von Los Angeles den Krieg erklärt.

Der Einstieg in den sattsam bekannt anmutenden Plot erfolgt allerdings wenig geradlinig, wenn Kinnamans Familienvater Brian zu Fuß (und mit der Weihnachtszeit nur am Rand entsprechendem Rentierpullover) hinter zwei Autos herjagt, deren Insassen sich mit Feuerwaffen bekriegen. Seiner Reaktion, das wird wenig später ersichtlich, geht der Tod des Sohnes voraus, der von einer verirrten Kugel beim Spielen im Vorgarten erschossen wurde. Brian selbst wird vom markant tätowierten Playa (Harold Torres, „Memory“) nach einem Schuss in den Hals vermeintlich tot zurückgelassen. Einmal mehr ein schwerer Fehler. Denn Brian ist selbstverständlich noch am Leben. Und am Boden zerstört. Sprechen kann er durch die Schussverletzung nicht mehr. Und auch der Rest der Figuren hüllt sich bis auf wenige beiläufige Momente in Schweigen.

Damit belegt Woo durchaus konsequent, dass Actionfilme keine Dialoge benötigen. Und so sinnt Brian bald auf Rache. Zuvor jedoch zerfällt er in seiner Trauer und entfremdet sich von Gattin Saya, in deren Rolle Catalina Sandino Moreno („From“) auf Tränen und Enttäuschung reduziert wird. Allerdings folgt bald die Trotzreaktion: Brian beginnt zu trainieren, mit Gewichten, Messern, Feuerwaffen und einem schusssicher verkleideten Sportwagen. So wird der Normalo allmählich zum Brutalo. Und weil er ohnehin keine Emotionen mehr zeigt, quittiert Brian auch Sayas Auszug ohne echte Regung. Dafür markiert er im Kalender bereits lange im Voraus den Zeitpunkt seiner Vergeltung: an Weihnachten, zum Jahrestag der Ermordung seines Sohnes.

Nachdem sich Brian in Hälfte eins auf seine Vendetta vorbereitet und das Gang-Gefüge um Playa durchdrungen hat, lässt Woo die Leinwand in der Folge wieder explodieren. Dabei inszeniert er Kinnaman nicht als „John Wick“-Nachbau, sondern als Mann ohne echten Plan, der es obendrein nicht einmal darauf anlegt, lebendig aus der Geschichte herauszukommen. Allerdings ist die erzählerische Struktur ein Schwachpunkt des Films. Denn gemessen am glasklar vorgezeichneten Ablauf lässt Woo für die Vorbereitung doch mehr Zeit verstreichen als erforderlich. Mehr noch eröffnet sich mit Polizist Vassell (Scott Mescudi, „Trap: No Way Out“), dessen Ermittlungsarbeit weniger Ergebnisse bringt als Brians Observierungen, ein flüchtiger Nebenplot, der keinen Zugewinn leistet.

Ein weiteres Manko ist die mimische Eindimensionalität Kinnamans, dessen Rot sehender Rächer kaum mehr als eine tragisch umwehte Schablone bleibt. Als Herzstück des Streifens entpuppen sich daher die ruppigen Actionszenen, in denen sich Woo immer wieder selbst zitiert, das frühere Markenzeichen ästhetisierter Todesballette jedoch zugunsten einer rohen Direktheit ausspart. Im Kombinat mit der bedrückenden Stimmung wird der Streifen damit klar entgegen der absurd überhöhten Prämisse von „John Wick“ & Co positioniert. Unter dem Strich bleibt „Silent Night“ trotzdem nur ein durchwachsener Krawall-Thriller, der durch Woos Beteiligung obendrein Erwartungen schürt, die letztlich kaum erfüllt werden. Da wäre fraglos mehr drin gewesen.

Wertung: 5.5 out of 10 stars (5,5 / 10)

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