Das US-Gesundheitssystem ist krank. Schwer krank. Im internationalen Vergleich rangiert die Supermacht damit auf einem hinteren Rang – knapp vor Slowenien. Rettung ist nicht in Sicht, dafür sind die Milliardengewinne verzeichnenden Krankenkassen zu sehr in der Politik verwurzelt. Ein Fall für Oscar-Gewinner Michael Moore („Fahrenheit 9/11“), der den Verantwortlichen in „Sicko“ nach bewährt polemischer Manier auf den Zahn fühlt. Seine Art des Dokumentarismus ist umstritten. Moore stellt Szenen und nutzt die Möglichkeiten der Nachbearbeitung zur Unterstreichung seiner Anliegen. Das stimmt skeptisch. An der hehren Intention rüttelt es nicht.
Dennoch lässt sich schnell ausmachen, dass Moores Analyse amerikanischer Krankenkassen zu seinen schwächeren Werken zählt. Der zwei Stunden lange Film hat seine Durststrecken und folgt einer losen Dramaturgie, die sich stark auf Einzelschicksale und redundante Vergleiche mit europäischen Staaten stützt. Die zum Teil erschreckenden Berichte der Betroffenen, die schwere Erkrankungen in den Ruin trieben, schlimmer noch aus Unterlassung ärztlicher Hilfeleistung zum vermeidbaren Tod von Angehörigen führte, gehen nahe. In ihnen liegt die Menschenverachtung eines Systems begraben, das den Bürgern eigentlich gesundheitlichen Schutz und Vorsorge bieten sollte.
Die Reisen nach Kanada, England und Frankreich zeigen dem Publikum, wie gesunde Krankenversorgung auszusehen hat. Das funktioniert über Zwangsversicherung, Gehaltsabzüge und Solidarität. Für uns Europäer ist das keine Überraschung, sondern Alltäglichkeit. Dem amerikanischen Zuschauer muss es wie ein Donnerschlag erscheinen. Beizeiten aber wirkt das, als wolle Moore die Unterschiede einem Kleinkind erläutern. Wiederholt spielen sich Gespräche nach folgendem Schema ab: Der Befragte sagt: „Bei uns verhält sich das so.“ Der Regisseur fragt daraufhin: „Bei euch verhält sich das so?“ Der Interviewte antwortet: „Ja, bei uns verhält sich das so.“
Abseits solcher Dopplungen liegen Moores Stärken in der skandalträchtigen Aufzeigung des großen Ganzen. „Sicko“ wirkt wie eine Collage mit Schnipseln aus allen Lagern. Zu Hochform läuft der stets polarisierende Filmemacher im Schlussdrittel auf, wenn er Bootsladungen kranker Amerikaner nach Guantanamo schippert, um ihnen die gleiche Krankenversorgung wie den inhaftierten Terrorverdächtigen zuteil werden zu lassen. Am Ende landen sie auf Kuba, im sozialistischen Schurkenstaat, wo die Geschädigten ganz umsonst behandelt werden. Das Vorgehen ist selten subtil, dafür umso wirkungsvoller. Das ist Michael Moore. Und genau das erwartet man von ihm.
Wertung: (7 / 10)