Bei der Anzahl großartiger Filme und Klassiker von Martin Scorsese ist es immer noch verwunderlich, dass der Filmemacher erst 2007 für seinen „Departed“ einen Oscar erhielt. Vor allem, weil es sich hierbei „lediglich“ um ein US-Remake des Hong Kong-Thrillers „Infernal Affairs“ handelte. Genau so konstant wie Hollywood ihm den Goldjungen – trotz Filmen wie „Wie ein wilder Stier“, „Taxi Driver“ oder „GoodFellas“ – über all die Jahre verwehrte, ist aber auch seine Loyalität gegenüber seinen Lieblingsdarstellern. Lange war dies Robert De Niro, mit dem er an mehr als einem halben Dutzend Filmen arbeitete. Nach dem Millennium nahm Leonardo DiCaprio dessen Part ein. „Shutter Island“ ist die bereits vierte Zusammenarbeit von Scorsese und DiCaprio. Für sein kniffliges Puzzle-Spiel „Shutter Island“ begab sich der Meister auf ihm eher fremdes Terrain. Denn für knisternde Hochspannung war er bislang nur selten bekannt.
Der Film beginnt mit der Überfahrt von US-Marshal Teddy (Leonardo DiCaprio) und dessen neuem Partner Chuck (Mark Ruffalo) auf die Insel Shutter Island, auf der psychisch kranke Gewaltverbrecher inhaftiert sind und behandelt werden. Die beiden Polizisten sollen das Verschwinden einer Patientin aufklären, doch vor Ort werden sie eher argwöhnisch beäugt und nur spärlich vom hiesigen Leiter Dr. Cawley (Ben Kingsley) mit Informationen versorgt. Auch das Pflegepersonal stellt die Beantwortung von Fragen weitgehend ein. In den ersten Minuten scheint die Ausrichtung des Films relativ klar zu sein. Zwar weiß man schnell, dass DiCaprio an Alpträumen und Visionen leidet, bedingt durch Erlebnisse während der Befreiung von Dachau während des Zweiten Weltkrieges und dem gewaltsamen Tod seiner Frau. Allerdings deutet bis dahin alles auf die Aufklärung der vermissten Insaßin hin. Die Insel an sich samt seiner vollkommenen Abgeschiedenheit, das stürmische Wetter und der unheimlich wirkende Score tragen von Anfang an zu einer intensiven, bedrohlichen Atmosphäre bei.
Schnell merken die beiden Polizisten, dass etwas auf der Insel nicht stimmt. Gleichzeitig verfolgt Teddy eigene Interessen, die durch Hinweise in der Zelle der Vermissten oder der Befragung anderer Patienten geschürt werden. Selbst als diese nach einem Tag wieder auftaucht, intensiviert er seine Ermittlungen auf eigene Gefahr und scheint sich in diesen förmlich zu verlieren. Nach der anfänglichen Ruhe folgt schnell der Sturm. Die Hinweise und Deutungen aus allen Richtungen werfen das Gesamtbild des Betrachters – welches er sich ab dem ersten Drittel mühsam zusammengelegt hat – immer wieder aus dem Gleichgewicht. Die Visionen und die Vergangenheit DiCaprios rücken mehr und mehr in den Vordergrund, so dass es später aufgrund der Entwicklungen immer schwerer fällt, zwischen Realität und Wahn zu unterscheiden. Scorsese spielt gekonnt mit den Erwartungen und lässt die im Moment plausibel erscheinenden Lösungen schnell ins Leere laufen. Gerade der Figur von Leonardo DiCaprio – gewohnt auf hohem Niveau, wenngleich manchmal auch etwas überambitioniert in seinem Spiel – kommt die Rolle des tragischen Helden zugute.
Der Nebencast überzeugt neben DiCaprio vollkommen. Mark Ruffalo („Ein einziger Augenblick“) überzeugt schon seit Jahren in der zweiten Reihe und auch Ben Kingsley („Ghandi“) liefert gewohnt souverän, ohne sich zu sehr in die Karten schauen zu lassen. Neben ihnen agieren gestandenen Akteure wie Max von Sydow („Minority Report“), Michelle Williams („Brokeback Mountain“), Emily Mortimer („Lars und die Frauen“), Patricia Clarkson („The Green Mile“) oder Elias Koteas („Der seltsame Fall des Benjamin Button“). Das Ende mag dann vielleicht nicht mehr komplett überraschen, bietet aber ausreichend Gelegenheit, das vorangegangene noch einmal Revue passieren zu lassen. Und die letzten Momente des Films sind dann noch einmal ganz großes Kino. „Shutter Island“ mag nicht der Geniestreich sein, den man Scorsese zutrauen würde, aber dank einer stimmigen Story, guten Darstellern sowie der durchweg düsteren Atmosphäre erfüllt der Film doch recht locker die Erwartungen. Ein immer noch deutlich überdurchschnittlicher Thriller.
Wertung: (7,5 / 10)