Der Nager ist kein Kostverächter. Der Kinogänger auch nicht, weshalb die Animationskomödien immer aufwendiger, immer detailverliebter und immer anspruchsvoller geartet sein müssen. Das klassische Prinzip des märchenhaft verkitschten Disney-Kinos ist an seine Grenzen gestoßen, nicht zuletzt durch die immer stärker werdende Konkurrenz. Umso entscheidender für den Konzern mit der Maus ist die Reintegration der Pixar Studios, die den Trickfilm mit „Toy Story“ einst revolutionierten und gleichsam an die Entwicklung der Computertechnologie koppelten.
Wie gut ein solches Werk funktioniert, liegt längst nicht mehr allein in leuchtenden Kinderaugen. Man muss nur die Abendvorstellungen eines animierten Lichtspiels betrachten und die Reaktionen des entsprechend durchgehend Erwachsenen Publikums aufsaugen. Wenn dort schallend gelacht wird, wenn sich die Kinder in den adulten Kinogängern offenbaren, zeigt sich auch, ob ein Konzept generationsübergreifend begeistert. Diese Gratwanderung zwischen zeitlosem, nicht allzu kindlichem Humor und Geschichten, die sich ohne aufdringlichen pädagogischen Zeigefinger entfalten, beherrschen die Kreativen von Pixar in einzigartiger Kontinuität.
Brad Bird, Regisseur von „Die Unglaublichen“, zeigt auch mit „Ratatouille“ sein untrügliches Gespür für alle Altersklassen erfassende Verzückung. Als Identifikationsfigur dient wie so oft ein Tier, wobei Bird auf eine Gattung setzt, der in der Hauptsache Abscheu und Ekel entgegengebracht wird. Denn Hauptfigur Remy ist nicht nur eine Spürnase für Delikatessen aller Art, ein wahrer Gourmet, er ist auch eine Ratte. Mit seinem kulinarischen Feingespür ist er in der Seine-Metropole Paris genau richtig, wo er im strauchelnden Restaurant seines großen Vorbilds, des verstorbenen und ihn in seiner Fantasie freundschaftlich mahnend begleitenden Sternekochs Auguste Gosteau die Küche und das Leben der jungen Putzkraft Linguini auf den Kopf stellt.
Durch Remys Hilfe wird der tollpatschige Junge, obendrein Gosteaus Filius, zur Sensation, was amouröse Gefühle in Kollegin Colette und Missgunst im zwergenhaften Küchenchef Skinner heraufbeschwört, der sich Gosteaus Vermächtnisses bedienen will. Sensationell ist auch der Grad des Realismus. Das Pariser Flair wurde vom Kopfsteinpflaster bis zu den Seine-Quais originalgetreu nachempfunden und wird nur übertrumpft von der anmutig visualisierten Leidenschaft des Kochens. Wenn Remy wie ein Dirigent Zutaten in die Töpfe jongliert und Düfte im rauschaften Farbenspiel in sich aufsaugt, dann erklimmt das schwindelerregend kinetische Feuerwerk der Sinne ungeahnte Höhen.
„Ratatouille“ ist Pixars vielseitigster und bislang schönster Film. Das Zusammenspiel von menschlichen – hervorzuheben ist der mit Anlehnungen an „Nosferatu“ Max Schreck versehene und im Original von Peter O’Toole gesprochene Gourmetkritiker Anton Ego – und tierischen Protagonisten funktioniert weitgehend ohne Verniedlichung, was sich auch bei der Darstellung von Remys zwischenzeitlich verloren geglaubter Sippschaft zeigt. Der animierte Trickfilm weicht damit von der sich einstellenden Schnelllebigkeit zurück und verleiht ihr gleichzeitig eine Erhabenheit, die sich maßgeblich auf die Konzeption zukünftiger Werke auswirken dürfte. Ein genüsslicher Gaumen-, Pardon, Augenschmaus für die ganze Familie.
Wertung: (9 / 10)