„It’s not like my mother is a maniac or a raving thing. She just goes a little mad sometimes. We all go a little mad sometimes. Haven’t you?“ – Personifizierter Mutterkomplex: Norman Bates
Der beste Freund eines Mannes ist seine Mutter. Diese Auffassung vertritt Norman Bates, der ein leicht zu übersehendes Motel im Kalifornischen Nirgendwo unterhält. Die Zeit zwischen den spärlichen Aufenthalten etwaiger Kundschaft füllt er mit dem Beziehen frischer Betten – oder dem Ausstopfen von Vögeln. Und natürlich Zwiegesprächen mit der Mutter, die er als alt und verwirrt beschreibt. Ihre Silhouette zeichnet sich vom Fenster des ans Motel angrenzenden Hauses ab. Sie ist auch der Schlüssel zu einem düsteren Geheimnis, das den jungen Norman, intensiv gespielt vom schlacksigen Anthony Perkins („Catch 22“), gefangen hält.
Alfred Hitchcocks („Vertigo“) Thriller-Meilenstein „Psycho“ ist (trotz oder gerade wegen seiner nicht minder spannenden Entstehungsgeschichte) einer der meist zitierten Filme in der Historie des Kinos. Die Inszenierung des britischen Regie-Virtuosen führt den Zuschauer auf dem Weg zum (erahnbar) schaurigen Finale fortwährend hinters Licht und spielt – auch Dank einer ausgeklügelten Licht-/Schatten-Dramaturgie – kongenial mit Wahrnehmung und Erwartung. Bis zur im Sinne des modernen Horrors bahnbrechenden Zuspitzung zur Filmmitte lässt sich Hitchcock allerdings Zeit. Der Auftakt gehört der Maklersekretärin Marion Crane (im zeitlichen Kontext ungewohnt freizügig: Janet Leigh, „Touch of Evil“), die einmal mehr die Leidensfähigkeit von Blondinen im Oeuvre des Suspense-Meisters veranschaulichen darf.
Getreu dem Motto ´Gelegenheit macht Diebe´ unterschlägt sie 40.000 Dollar und setzt sich ab. Ihre ständige Nervosität kostet Hitchcock in immer neuen nervlichen Prüfungen aus. Bei der Fahrt aus der Stadt begegnet sie ihrem Chef, der sichtlich verdutzt dreinblickt, schließlich hatte sich Marion krank gemeldet. Auf der Flucht wird sie von einem Polizisten gestoppt und weckt dessen Argwohn durch den übertriebenen Versuch, Lässigkeit auszustrahlen. Nach dieser Begegnung tauscht sie ihren Wagen bei einem Autohändler, der durch ihr Drängen auf eine rasche Weiterfahrt selbst den Verdacht äußert, sie werde wohl von jemandem verfolgt. Beruhigen kann sie sich erst, als sie in stürmischer Nacht in Bates verlassenem Motel absteigt.
Beim Abendbrot lernt sie den kauzigen Norman näher kennen, der sich vorangehend einmal mehr im lautstarken Disput mit der Mutter ergeht. Dass Marion ihr Gegenüber zu Recht nicht geheuer ist, beweist dieser, als er sie durch ein vom Bilderrahmen verdecktes Loch in der Wand beim Ausziehen beobachtet. Unter der Dusche ereilt sie dann zu den unvergesslich schrillen Violinen Bernard Herrmanns („Citizen Cane“) der gewaltsame Tod durch die Messer schwingende Mrs. Bates. Aber kommt die alte Dame wirklich als Killerin in Frage? Der raffiniert geschnittene und durch Schokoladensauce als Blutersatz in seinem Schrecken potenzierte Mord avancierte zu einer der berühmtesten Szenen der Kinogeschichte.
In deren Nachhall bleibt dem geschockten Norman nur das Versenken der Leiche samt Auto, Gepäck und Beute im nahen Moor. Von bitterer Ironie ist Marions vorangehende Einsicht, das Geld am nächsten Tag zurückgeben und die Wogen glätten zu wollen. Ihr spurloses Verschwinden aber bringt den Privatdetektiv Arbogast (Martin Balsam, „Die zwölf Geschworenen“) auf den Plan, der Norman bald unbequeme Fragen stellt. Als auch er nicht mehr auftaucht, machen sich Marions zunächst der Mittäterschaft verdächtigter Geliebter Sam Loomis (John Gavin, „Spartacus“) sowie ihre Schwester Lila (Vera Miles, „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“) auf, Licht ins Dunkel zu bringen.
In einer emotionalen Berg- und Talfahrt bereitet Hitchcock die auch heute noch wirksamen Schocks lange vor und enthüllt die wahren Hintergründe um die Bates-Familie erst am wortreich ausgeführten Schluss. In gewissen Belangen mag „Psycho“ (verständlicherweise) altbacken erscheinen. Seine Wirkung auf Filmschaffende und Publikum ist aber auch mehr als 50 Jahre nach seiner Entstehung unbestreitbar enorm. Eben einer DER unverwüstlichen Klassiker des Kinos und zugleich Geburtsstunde des Psycho-Thrillers. Von diesem Status sind die drei soliden bis verzichtbaren, zwischen 1983 und 1990 entstandenen und allesamt mit Anthony Perkins besetzten Sequels, aber ganzheitlich ausgenommen.
Wertung: (10 / 10)