Mit seinem siebten Spielfilm „Parasite“ hat Bong Joon-Ho („The Host“) Kinogeschichte geschrieben. Die bitterböse südkoreanische Gesellschafts-Satire gewann 2019 nicht nur die prestigeträchtige Goldene Palme in Cannes, sondern heimste im Folgejahr, neben einem Golden Globe (als bestes fremdsprachiges Werk), auch vier Oscars ein – unter anderem in Hollywoods Königsdisziplinen „Bester Film“ und „Beste Regie“. Ein solcher Coup war zuvor noch keiner Nicht-US-Produktion gelungen. Dass die Auszeichnungen zurecht verliehen wurden, sollte dabei vorangestellt Erwähnung finden. Denn Bongs Meisterstück ist ohne Übertreibung – und trotz kleinerer Abstriche – einer der gelungensten Filme dieses Jahrtausends.
Erzählt wird die Geschichte von Familie Kim: Vater Ki-taek (Song Kang-ho, „Snowpiercer“), Mutter Chung-sook (Janh Hye-jin, „Secret Sunshine“), Tochter Ki-jung (Park So-dam, „The Priests“) und Sohn Ki-woo (Choi Woo-shik, „Train to Busan“). Das eng verschweißte Quartett bewohnt eine heruntergekommene Souterrainwohnung, befindet sich stets auf der Suche nach kostenfreiem W-Lan und hält sich vornehmlich mit Gelegenheitsjobs und kleinen Gaunereien über Wasser. Doch die Zeiten werden härter. Um im sozialen Gefüge nicht unter die Räder zu geraten, nehmen die Kims den Klassenkampf mit einer Vehemenz an, die der Ellenbogenmentalität als Grundphilosophie des Kapitalismus bis zum Äußersten Rechnung trägt.
Durch einen Schulfreund bietet sich Ki-woo die Gelegenheit, als Englischlehrer von Da-hye (Jeong Ji-so), der Teenagertochter der wohlhabenden Familie Park, einzuspringen. Mit aufgesetzter Strenge und gefälschtem Zeugnis erschleicht er sich das Vertrauen von Yeon-kyo (Cho Yeo-jeong, „The Concubine“), der sichtlich naiven Mutter Da-hyes. Die Förderung der Kinder, wohlgemerkt durch externe Fachkräfte, geht ihr über alles. Also ergreift Ki-woo die Chance und empfiehlt Schwester Ki-jung unter anderem Namen als studierte Kunsttherapeutin für den vermeintlich talentierten jüngsten Park-Spross Da-song (Jung Hyun-joon). Als auch ihr Auskommen gesichert ist, rückt Ki-taek, natürlich unter falscher Identität, für den intrigant aus dem Job gedrängten Fahrer von Familienoberhaupt Dong-ik (Lee Sun-kyun, „Jo Pil-ho: Der Anbruch der Rache“), einem erfolgreichen Unternehmer, nach.
Bleibt nur noch Mutter Chung-sook. Für sie böte sich der Posten der Haushälterin an. Jedoch wird dieser von Moon-gwang (Lee Jung-eun, „The Wailing: Die Besessenen“) mit großer Hingabe ausgefüllt – und das länger, als selbst die Parks im verwinkelten Haus eines verstorbenen Architekten leben. Doch auch das hält die Kims nicht davon ab, sich in quasi-parasitärer Manier ins Leben ihrer nichtsahnenden Gönner zu drängen. Allerdings müssen sie bald feststellen, dass sie nicht die einzigen sind, die aus purem Überlebenswillen heraus zu Mitteln greifen, die der gesellschaftlichen Norm handfest widerstreben. So wird der Konkurrenzkampf um den besten Platz am metaphorischen Futtertrog bald mit Zähnen und Klauen geführt – und droht neben den Beteiligten auch die Parks in den Abgrund zu reißen.
Das hintergründige Drama, für das Bong gemeinsam mit Han Jin-won („Okja“) auch den Oscar für das beste Originaldrehbuch einheimste, ist ein cineastischer Leckerbissen. Die Bilder von Hong Kyung-pyo („Snowpiercer“) rücken die Domizile der Familien im Zusammenspiel mit dem Set-Design in ein erlesenes Licht, das keine Fragen über die eklatante Kluft zwischen den sozialen Schichten aufkommen lässt. Ungeachtet des subtilen, gen Ende zunehmend schwarzen Humors bleibt „Parasite“ ein düsteres Werk, das bei aller Bedeutungsschwere durch die komplexe, durchaus leichtfüßige Erzählweise besticht. Mit Rückblenden, etwa zu den akribischen Vorbereitungen der Kims auf ihre Vorstellungsgespräche, setzt Bong Akzente, die dem Überraschungspotential seiner glänzend gespielten Arthouse-Wundertüte weiter zutragen. Der kalkulierte Bruch, der den Schlussakt mit Thriller-Motiven und blutiger Eskalation auflädt, erscheint dabei allerdings ein wenig abrupt. An der Bedeutung des Films für das Kino der Gegenwart rüttelt das jedoch keinen Deut.
Wertung: (8,5 / 10)