Nach dem sensationellen Erfolg von Spielbergs „Der weiße Hai“ (1975) ließen Epigonen im Fahrwasser seines Killerfischs nicht lange auf sich warten. Bevor aber Italiens Filmindustrie den Mythos zu Tode und Belanglosigkeit melkte, schickte Hollywood in „Orca – Der Killerwal“ den Großvater von „Free Willy“ in einen verbissenen Kleinkrieg mit Richard Harris („Harry Potter und der Stein der Weisen“). Regie führte Michael Anderson („Flucht ins 23. Jahrhundert“), es produzierte Dino De Laurentiis („Conan – Der Barbar“). Dieser brachte aus Südeuropa auch den brillanten Komponisten Ennio Morricone („Spiel mir das Lied vom Tod“) mit, dem der Soundtrack in gewohnter Weise zum manierlichen Klangerlebnis geriet.
Was die Macher vom weißen Hai halten, wird schnell deutlich, wenn besagter Schrecken der Meere in der Anfangssequenz von einem weißen Wal zu Fischbret verarbeitet wird. Auf diese Weise bewahrt der Orca das Leben des Tauchers Ken (Robert Carradine, „The Big Red One“) vor dem vorzeitigen Abbruch. Im Gegenzug kann dieser jedoch nicht verhindern, dass der störrische Seebär Nolan (Harris) die trächtige Gefährtin seines Retters harpuniert. Fortan sieht der Orca rot und zerlegt neben fremdem Eigentum in Küstennähe auch die appetitliche Bo Derek („10 – Die Traumfrau“). In den zerklüfteten Weiten des ewigen Eises kommt es zur finalen Konfrontation.
Rasch enthüllt „Orca – Der Killerwal” das Mysterium seines rachsüchtigen Säugers. Die Einleitung ist schnell gesponnen, der Kampf zwischen Mensch und Tier ohne Umschweife eröffnet. Die spröde Charlotte Rampling („Swimming Pool“) erörtert in Gestalt einer Meeresbiologin den motivbescherenden Hintergrund, Keenan Wynn („Piranha”) und Will Sampson („Einer flog über das Kuckucksnest“) leisten in Nebenrollen ihren Beitrag zur darstellerischen Ausgewogenheit. Höhepunkte des Films sind die sehenswerten Aufnahmen des Wals, selbst wenn dessen Sprungeinlagen mitunter deutlich in destruktive Szenarien hineinkopiert wurden.
Auch heute noch verwundert der ausgeprägte Härtegrad des Streifens. Die Gewalt ist weder expliziert noch ausufernd, doch geizt Regisseur Anderson beim Duell der Opponenten nicht mit Blut. Verstörendes Highlight ist die Sequenz, in der das im Todeskampf befindliche Wal-Weibchen ihren Nachwuchs auf das Deck von Nolans Kutter befördert. Ein Meisterwerk ist „Orca“ nicht, dem gegenüber aber auch kein plumper Abklatsch des „Weißen Hais“. Der Film bemüht sich um eine eigentümliche Art der Erzählung und vernachlässigt zugunsten dramatischer Aspekte einen konstanten Spannungsbogen.
Der Wal mit Hang zur familiären Blutfehde vereint ebenso gut und böse in seiner Figur, wie sein menschlicher Opponent Richard Harris. Der gibt den Charakter des Nolan als stimmige Eigeninterpretation von Herman Melvilles Kapitän Ahab. Das „Moby Dick“ auch hier als Sieger des ungleichen Kampfes hervorgeht, ist früh greifbar und wenig überraschend. Trotzdem verfügt „Orca“ über eine individuelle Atmosphäre. Ennio Morricones Filmmusik untermalt die beklemmende Kargheit der Bilder ausgezeichnet. Das lässt beinahe verzeihen, dass der tierische Thriller nur bedingt sinnig erscheint.
Wertung: (6 / 10)