Ötte – Mayday! (2022, Ötte Music)

Es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Deutsch-Rock und deutschsprachigem Rock. Exemplarisch veranschaulichen lässt er sich an ÖTTE und seinem bereits elften Studioalbum „Mayday!“. Während in der erstgenannten Kategorie häufig klassische „Wir gegen die“-Klischees bemüht und (gern innerhalb der politischen Grauzone) Durchhalteparolen für den Kleinen Mann geschmettert werden, bedeutet die andere Ausprägung die Übersetzung internationaler Genre-Charakteristika in die hiesige Musiklandschaft.

An den Überschneidungsflächen von Rock und Pop gibt es diverse erfolgreiche deutschsprachige Künstler*innen; erwähnt seien lediglich Udo Lindenberg, Punk-Röhre Nina Hagen und BAP-Vorsteher Wolfang Niedecken. Mit seiner Band pflegt auch der seit Jahrzehnten musikalisch umtriebige Christian Otte die Weltoffenheit des Rocks. Dabei teilte er u. a. mit Hagen, Niedeckens BAP oder der in Schwurblergefilde übergesiedelten Nena die Bühne. Sein jüngstes Werk, „Mayday!“, hier schließt sich der Kreis zur Quasi-Antithese des Deutsch-Rocks, ist ein Konzeptalbum, das der Menschheit und ihrer destruktiven Ader einen kreativ unterhaltsamen Spiegel vorhält.

Denn so ernst der Tenor auch sein mag, flächendeckende Wirkung erzielt er erst durch eingängige Klänge. Solche finden sich auf „Mayday!“ reichlich. Versiert verbinden Otte und Mitstreiter instrumentale Vielseitigkeit mit textlicher Ambition. Das funktioniert beim eröffnenden Titeltrack und dem mit feinen Gitarrensoli veredelten „Glauben“ packend. Dass sich das ÖTTE-Kollektiv mitunter verhebt, zeigen die simplen Paarreime in „Ratten“ oder das im weiteren Verlauf des Albums etwas breit gestrichene Pathos. Das nimmt beim in sechs Akte unterteilten, in Summe rund 18 Minuten umspannenden „Wann wird es geschehen“ zu, bei dem Prog-Untertöne und Keyboard-Klänge zur atmosphärischen Prägung beitragen.

Neben berechtigten Fragen nach dem Fortbestand der Menschheit ziehen sich aber auch optimistische (und poppige) Töne durch „Mayday!“. Die Hoffnung stirbt schließlich zuletzt. Jene positiven Aspekte bewahren der im Kern durchaus düsteren musikalischen Erlebnisreise (herausgestellt seien lediglich die funkigen Bass-Parts bei „Im Zwietracht der Welt“) ihre Nahbarkeit. All das macht ÖTTE, der für sein Werk Anfang 2023 mit dem Deutschen Rock- und Pop-Preis (Kategorie: Bestes CD-Album 2022) ausgezeichnet wurde, zur empfehlenswerten Station für alle, die deutschsprachigen Rock als heimische Facette eines Genres betrachten, das Menschen in aller Welt verbindet. Von solcher Allgemeingültigkeit kann sich der Deutsch-Rock ruhig eine Scheibe abschneiden.    

Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

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