Die Haut ist das Spiegelbild der Seele heißt es. Für den 17-jährigen Guido (Jacob Matschenz, „Die Welle“) entspricht sie mehr einer biblischen Plage. Seit seiner Kindheit leidet er unter Neurodermitis. Das Kratzen, dies Schaben mit den Fingernägeln über gereizte Körperpartien, ist für ihn zum Zwang geworden. Die Oberfläche aber ist in ihrem Auf und Ab der Deformation tatsächlich ein verlässlicher Indikator für das Innenleben des Teenagers, dessen Elternhaus ihn mit all den unterdrückten Gefühlsregungen geradewegs einschnürt.
„Neandertal“ ist das Regiedebüt des Duos Ingo Haeb und Jan-Christoph Glaser. Sie präsentieren eine grundlegend konventionelle Coming of Age-Geschichte, die ob ihrer ungeschönten Direktheit und der stimmungsvollen Inszenierung aber durchweg überzeugen kann. Guidos Krankheit wird nicht bloß für ihn zur Qual, sondern auch für den Zuschauer, der in den zehrenden Prozess von Kratzgeräuschen, abgeschabten Hautschuppen und offenen Wunden involviert wird. In einer Sequenz schält sich der Geplagte gar das Fleisch vom Gesicht. Doch ist die nur eine Fantasie des Ausbruchs.
Erst mit der Abkehr von den Eltern bessert sich sein Zustand. Diese einfache Rechnung, dass emotionale Unabhängigkeit gleichbedeutend mit der Gesundung der Haut ist, wirkt reichlich simpel. Allerdings ist sie nur ein Zwischenschritt und nicht das schlussendliche Entwicklungsstadium auf die Schwelle zur Erwachsenenreife. Seinem älteren Bruder folgend zieht es Guido, nachdem er Zeuge des väterlichen Ehebruchs wurde, aus der Kreis- in die Großstadt. Der lebenslustige Rüpel Rudi (Andreas Schmidt, „Sommer vorm Balkon“) wird sein Mentor in Sachen Ich-Bezug.
Mit der Vergrößerung des Selbstbewusstseins verändert sich auch das Wesen des Jungen. Der Ausbruch aus der familiären Tristesse bewirkt eine Art Trotzreaktion, die Guido in Windeseile vergönnte Erlebnisfaktoren aufarbeiten lässt. Das führt über Schicksalsschläge zwangsläufig zur finalen Einsicht, Dank der starken Darsteller und einer gesunden dramaturgischen Gelassenheit aber nicht zur aufgebauschten Läuterung. Damit ist dieser betont andersartige Problemfilm erfreulich nüchtern geraten und weiß die emotionalen Zwiespalte dennoch sicher auszuspielen.
Wertung: (7 / 10)