Mystic River (USA/AUS 2003)

mystic-riverDer Oscar-prämierte Darsteller und Regisseur Clint Eastwood („Erbarmungslos“) gleicht einem erlesenen Wein – er reift in Würde. So produziert und inszeniert der Altstar im aufziehenden Herbst seiner nunmehr fünf Jahrzehnte währenden Karriere vorwiegend erwählte Projekte unkonventioneller Anmut. Auf diese Weise behauptet Eastwood die Bürde auf Zelluloid gebannter Filmkunst wie ein Fels in der sprichwörtlichen Brandung gegen Leinwandtrends und stilistische Modeerscheinungen. Die Werke der heute 74-jährigen Kino-Ikone schöpfen ihre Faszination und ihren künstlerischen Anspruch aus prägnanten Charakteren und dem feinem Gespür für unaufdringliche Inszenierungen. Diese konsequente Aussparung kommerzieller Tendenzen rückte seine jüngste Produktion „Mystic River“ bei der diesjährigen Oscar-Verleihung unerwartet in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Entgegen der schieren Flut an Auszeichnungen für Peter Jacksons Abschluss seiner „Herr der Ringe“-Trilogie beanspruchten nämlich Sean Penn und Tim Robbins die bedeutendsten Trophäen der darstellerischen Würdigung für sich und kürten ihren Regisseur zum heimlichen Sieger der Academy Awards.

Der überfälligen Verbeugung vor Sean Penns grandioser Leistung ließ die Prominenz Hollywoods stehende Ovationen folgen, die überschwängliche Huldigung eines ambitionierten Projektes, welches in schier schmerzhafter Distanz zum archetypisch amerikanischen Unterhaltungskino steht. Kein gut geöltes Rührstück mit integrierter Happy-End-Garantie, kein formelhaftes Aufbahren sympathischer Identifikationsfiguren. Eastwood entzieht dem Zuschauer den allgegenwärtigen Schleier der Schönfärberei zugunsten eines unbequemen Blickes in seelische Abgründe. Ohne außenstehenden Beobachter, ohne Mittler zwischen Protagonisten und Publikum, wird der Betrachter hineingesogen in eine Tragödie, die alle Beteiligten auf ewig gebranntmarkt zurücklassen wird. Nüchtern und beiläufig, in beinahe klinisch kühlen Bildern, erzählt Eastwood eine Geschichte von Freundschaft, dem Verlust jugendlicher Unschuld und den mannigfaltigen Konsequenzen ungezügelter Emotionalität. Geschickt verbindet der versierte Regisseur ergreifendes Kriminaldrama mit beklemmender Charakterstudie, verwischt die Grenzen zwischen endender Unschuld und beginnender Mitschuld.

Wie eine ins Tal stürzende Lawine zieht jedes Unglück weitreichendere Tragödien nach sich, wie ein Flächenbrand greift das Unglück nach den Seelen der Charaktere. Aus dem Leben gegriffene Figuren wie die Jugendfreunde Jimmy (Sean Penn, „Sweet and Lowdown“), Dave (Tim Robbins, „Arlington Road“) und Sean (Kevin Bacon, 24 Stunden Angst“), die sich nach einem verstörenden wie brutalen Verbrechen allmählich auseinandergelebt haben. Einst wurde Dave vor den Augen der Freunde in ein Auto gezwungen und Opfer eines schockierenden Sexualverbrechens, das keiner der Beteiligten je überwinden konnte. Obgleich in festen Familienverhältnissen oder Berufen behaftet, kreisen Angst und Schuld bezüglich der düsteren Episode ihrer Kindheit wie ein unsichtbares Damoklesschwert über den Häuptern der ehemaligen Freunde. Doch urplötzlich müssen sich die drei mit den Schatten ihrer Vergangenheit konfrontiert sehen, als Jimmys 19-jährige Tochter aus erster Ehe einem kaltblütigen Gewaltverbrechen zum Opfer fällt.

In den Kreis der Verdächtigen fällt ausgerechnet Dave, der mit der Schwester (Marcia Gay Harden, „Pollock“) von Jimmys Frau (Laura Linney, „Absolute Power“) verheiratet ist. Als leitender Ermittler steht Sean zwischen den Fronten seiner alten Nachbarschaft und dem Unverständnis seines Partners (Laurence Fishburne, „Matrix“). Als Daves Frau vor dem ehemaligen Sträfling Jimmy den Verdacht äußert, ihr Gatte könnte die Schuld an dem grausamen Mord tragen, nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Ohne je über die Handlungsweisen und Entscheidungen seiner Figuren zu richten, zelebriert Clint Eastwood jenseits plakativer Moralvorstellungen eine elegische Spirale der Tragik und liefert die Charaktere allein der moralischen Urteilsfindung des Publikums aus. Von der Last dramaturgischer Rechtsprechung entledigt, weisen die in „Mystic River“ aufgezeigten Akte der blinden Raserei, des Affektes und des Vorsatzes in eine eindeutige Richtung der Schuld.

Mit der für Eastwood typischen Gemächlichkeit begünstigt der erfahrene Filmemacher die individuelle Entfaltung der charakterlichen Schemen in gebührendem Maße und entlockt seinem famosem Darstellerensemble absolute Höhenflüge mimischer Ausdruckskraft. Und wenn im famosen Skript Brian Helgelands („L.A. Confidential“) am Ende all jene präzisen Momentaufnahmen raffiniert zusammenlaufen und den Zuschauer in ein ungutes Gefühl der Machtlosigkeit entlassen, entfaltet Eastwoods außergewöhnliches Kriminaldrama eine kraftvolle Wirkung jenseits der Intensität des gängigen Unterhaltungskinos. Nicht weniger als ein brilliant erzähltes Meisterwerk mit Traumbesetzung, markiert „Mystic River“ ein bemerkenswert unabhängiges Musterbeispiel nachhaltig fesselnder Kinokunst und erhebt Regisseur und Produzent Eastwood einmal mehr in den Status einer verdienten Hollywood-Legende.

Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

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