Muxmäuschenstill (D 2004)

muxmauschenstill„Ich bin kein Held. Denn jedes Land hat die Helden, die es verdient. Michael Schumacher ist ein Held. Weil er schnell um die Kurve fahren kann und keine Steuern zahlt. Armes Land.“

Der deutsche Independentfilm lebt. Maßgeblichen Anteil an der Etablierung kleinbudgetierter Werke abseits des Mahlstroms Mainstream hat die Berliner Produktions- und Verleihfirma X Filme. Mit cineastischer Kleinkunst wie „Der Krieger + die Kaiserin“ oder „Agnes und seine Brüder“ schuf das Unternehmen einen wichtigen Gegenpol zu kommerziellen Strömungen im deutschen Kino und der Anbiederung an amerikanische Standarten. Mit „Muxmäuschenstill“ fördert X Filme das nur 40.000 Euro teure Debüt der Fernsehschauspieler Marcus Mittermeier und Jan Henrik Stahlberg – und verhelfen somit einem der mutigsten und ambitioniertestem Projekte seit langem auf die Beine.

Mux (Jan Henrik Stahlberg, „Die heimlichen Blicke des Mörders“) ist ein Einzelgänger. Ein gefährlicher Einzelgänger. Zumindest für diejenigen Bürgerinnen und Bürger, für die Vergehen wie Schwarzfahren nur Bagatelldelikte darstellen. Denn Mux ist ein moderner Vigilant, eine Art neuzeitlicher Charles Bronson. Egal ob Raser, Sprayer, Exhibitionisten oder Ladendiebe, Mux verfolgt sie mit der ganzen Härte seiner selbstgeschaffenen Gesetzgebung. Sein Arbeitsbereich ist Berlin und die Umgebung Brandenburgs. Zusammen mit dem Langzeitarbeitslosen Gerd (Fritz Roth, „Unter die Haut“), der die Kreuzzüge gegen den sozialen Verfall auf Videobändern festhält, schreitet Mux zur Tat. Jeden Tag.

Geschickt spielt „Muxmäuschenstill“ mit der Frage, wo Legitimation kleinbürgerlichen Aktivismus aufhört und wo Willkür und die Verletzung der menschlichen Würde anfängt. Provozierend, bissig und wertfrei gegenüber Mux, wie gleichwohl der Gesellschaft gegen die er zu Felde zieht, entfachen Marcus Mittermeier („Samt und Seide“) und Jan Henrik Stahlberg eine intelligente Auseinandersetzung mit dem Thema Zivilcourage. Denn Mux ist kein moderner Robin Hood, kein Zorro, kein Rächer der Unterdrückten. Zwar stehen auch Sexualstraftäter in seinem Visier, doch erweisen sich die moralischen Grenzen als fließend.

In dokumentarischem Stil, ähnlich „Mann beißt Hund“, streuen die Macher von „Muxmäuschenstill“ ätzende Satire über die Häupter der Zuschauer. Die erwählten Straftäter sind keine Verbrecher, sondern werden zu Kunden deklariert. Aus geläuterter ‚Kundschaft’ schafft Mux schließlich eine autonom operierende Zelle der Selbstjustiz. Und gerät durch die Überführung eines Familienmörders in das Interesse einer breiten Öffentlichkeit. Überschattet bleiben die Guerillaaktivitäten Mux’ gegen mangelndes gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein von seiner Zuneigung für die junge Kellnerin Kira (Wanda Perdelwitz, „Tatort: Rotkäppchen“). Ihr gegenüber spielt sich der überhebliche Großstadt-Sheriff als Beschützer auf – und stürzt sich selbst in einen emotionalen Abgrund.

„Muxmäuschenstill“ ist ein provokanter Experimentalfilm, der auf formaler Ebene bewusst unkoordiniert erscheint. Es ist das Spiel mit Unschärfen, welches das Werk auszeichnet, die Unmittelbarkeit der verwackelten Digitalkamera am Puls des Geschehens. Obgleich die fulminante Gesellschaftssatire gegen Ende ihre Makellosigkeit einbüßt, bleibt der Taumel zwischen blanker Ironie und beißendem Zynismus brisant und schlägt mit der Faust direkt in die Diskussion um soziale Verantwortung und gegenseitige Achtung. Oder um es mit den Worten von Mux auszudrücken: „Der Weg ist das Ziel.“ Und das Ziel heißt Kontroverse.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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