Möwengelächter (ISL/D/GB 2001)

moewengelaechterFilme aus Island sind selten. Ágúst Guðmundssons „Möwengelächter“, in Koproduktion mit Deutschland und Großbritannien entstanden, gereift das eher zum Vorteil. Denn es reduziert die Gefahr, in der Masse filmischer Überproduktion unterzugehen. Und das letzte, was diese wunderbare Tragikomödie verdient hätte, wäre unbeachtet in der Versenkung zu verschwinden. Mit erfrischender Leichtigkeit tischt Guðmundsson („Sea Dragon“) eine bezaubernde Nachkriegsgeschichte auf, die als illustres Gesellschaftsportrait wie gleichwohl freche Betrachtung des Heranwachsens funktioniert.

Island zu beginn der Fünfziger: Nach Jahren im fernen Amerika kehrt die selbstbewusste Freyja (Margrét Vilhjálmsdóttir, „Islandfalken“) ins beschauliche Fischerdorf Hafnarfjordur – und den Schoß ihrer Großfamilie – zurück. Der Grund für die Heimkehr ist der Tod des Gatten, ein Offizier, den ein Herzschlag dahingerafft hat, während sie den Kühlschrank abtaute. „Was, du hast einen Kühlschrank?“, heißt es darauf erstaunt. Das Leben geht eigene Wege in dieser abgeschiedenen Welt, in der man mit wenig zufrieden ist, weil man es muss.

Schlank ist sie, die Verwandte aus Übersee, die weder Fleisch noch Fisch isst. Ob das gesund sei, fragt die Großmutter. Schließlich war Freyja ein unscheinbares Pummelchen, als sie das karge Heimatidyll verließ. Nun ist sie zurück und auf der Suche nach einem heiratsfähigen Mann. Zwei potenzielle Anwärter kämen in Frage: Dorfpolizist Magnús (Hilmir Snær Guðnason, „Erbsen auf halb 6“) und Björn Theódór (Heino Ferch, „Vom Suchen und Finden der Liebe“), ein wohl situierter Ingenieur.

Der Großvater, einziger Mann in einem Haus voller Weiber, ist fast die ganze Zeit auf See. Er ist Fischer. Ein grantiger noch dazu. Aber wer will es ihm verübeln, als einziger Mann unter so vielen Frauen? Die Familie lebt in bescheidenen Verhältnissen. Das Haus ist übervölkert, viele Leben auf wenig Raum. Das bekommt die elfjährige Agga (Ugla Egilsdóttir) deutlich zu spüren, muss sie doch für die Tante das Bett räumen und mit der ungeliebten Pritsche Vorlieb nehmen. Das mehrt den Verdacht, dass mit Freyja etwas nicht stimmt. Denn, so resümiert das Mädchen, in ihren Augen liegt etwas böses.

Episoden- und sprunghaft zeigt die Verfilmung des Buches von Kristin Marja Baldursdóttir die Entwicklung von Freyja und Agga. „Möwengelächter“ ist die Geschichte einer emanzipierten Frau aus Sicht ihrer Nichte. Die lugt durchs Schlüsselloch, durch angelehnte Türen und hinter Mobiliar hervor. Mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu betrachtet die Teenagerin den Weg ihrer Tante, die trotz gesellschaftlicher Unterschiede Björn Theódór ehelicht und eine erbarmungslose Fehde mit dessen unter gleichem Dach wohnenden Mutter austrägt.

Aus dem spielfreudigen Ensemble sticht Debütantin Ugla Egilsdóttir heraus, die in ihrer charmanten Bissigkeit an die junge Christina Ricci erinnert. Um Freyja aus dem Haus zu schaffen erstattet sie Magnús über alle ihre Aktivitäten Bericht und bezichtigt sie sogar des Mordes. Der sich daraus entwickelnde Automatismus des Unglauben führt dazu, dass der Polizist einer sich Jahre später ereignenden Tragödie, die nur vordergründig wie ein Unfall erscheint, kein Gehör schenkt. Aber da ist aus dem vorlauten Gör längst eine junge Frau geworden.

Der beschwingte Soundtrack lenkt das Augenmerk auf die heitere Seite. Darüber liegen Bilder, die bei aller Kargheit von Land und Leuten nahezu träumerisch komponiert sind. Die authentische Ausstattung lässt die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lebendig werden und trägt bei aller Skurrilität zur Glaubhaftigkeit des Geschehens bei. So ist „Möwengelächter“ ein kleiner, ein feiner Film über das Erwachsenwerden und das Leben an sich. Mit all seinen Sonnen- und Schattenseiten. Anspruchsvoll und, nicht zuletzt, den Spielregeln des Kinos als Form der Magie entsprechend.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

scroll to top