Clint Eastwood ist wohl ruhigen Gewissens als Phänomen zu bezeichnen, das (wenn denn überhaupt) in Hollywood so schnell nicht wieder auftauchen wird. Ein Relikt aus alten Zeiten, in denen Filmemachen noch richtige Kunst war und keine Aneinanderreihung computergenierter Effektbomben wie es heutzutage meist der Fall ist. Mit seinen Italo-Western unter der Regie des großen Sergio Leone ging er bereits in die Filmgeschichte ein, gleiches gilt für seine Darstellung des Polizisten in „Dirty Harry“, dessen Reihe es auf stattliche fünf Teile brachte. Dann ein wenig die Kehrtwende, in dem er genau diesen Charakter des zynischen Polizisten in seiner Regiearbeit „Rookie – Der Anfänger“ im Jahre 1990 karikierte.
Der Höhepunkt seiner bisherigen Karriere folgte zwei Jahre später, als „Erbarmungslos“, sein Abgesang auf die Mythen des Westerns, berechtigterweise mit dem Oscar belohnt wurde. Seitdem dreht Eastwood stets auf hohem Niveau, wenn auch seine beiden letzten Regiearbeiten im Grunde nicht mehr zu toppen sein sollten. Mit dem düsteren und vielschichtigen „Mystic River“ konnte er Sean Penn endlich zum Oscar verhelfen, während er selbst samt seiner Hauptdarsteller vor wenigen Monaten ebenfalls den begehrten Goldjungen einfahren konnte, für die vielleicht beste Regiearbeit, die er bislang abgeliefert hat.
Der ehemalige Boxer und jetzige Trainer Frankie Dunn (Eastwood) genießt in seinem Metier einen ausgezeichneten Ruf. Frankie stellt einen in sich gekehrten, gebrochenen Mann dar, der laute Angewohnheiten mehr als alles andere im Leben hasst. Seine Arbeit in einem kleinen Gym, das seinem ehemaligen Schützling Eddie (Morgan Freeman, „Erbarmungslos“) gehört, ist das einzige im Leben für ihn. Eddie, gleichzeitig Frankies einziger Freund, verlor vor vielen Jahren in seinem letzten Boxkampf ein Auge, für das sich Frankie noch nach der langen Zeit schwere Vorwürfe macht. Seine Tochter pflegt zu ihrem Vater keinen Kontakt mehr, die zahlreichen von ihm verfassten Briefe kommen ungelesen zurück und auch der örtliche Pfarrer ist von den zahlreichen täglichen Besuchen des unzufriedenen Mannes mehr als entnervt. Eines Tages taucht aber die junge Maggie (Hilary Swank, „Boys Don’t Cry“) im Gym, dem „Hit Pit“ auf und möchte von Frankie trainiert werden.
Dieser jedoch vertritt die Meinung, dass Frauen im Boxring nichts zu suchen haben und lediglich die Tatsache, dass Maggie bereits ihren Trainingsbeitrag für die kommenden sechs Monate gezahlt hat, rettet sie vor einem Rauswurf. Dafür wird sie zumindest von Frankie vollkommen ignoriert, was sich erst ändert, als dessen aktueller Schützling ihm vor einem großen Kampf den Laufpass gibt. Fortan kümmert sich Frankie nur noch um seine neue Schülerin, die er zu Beginn nur widerwillig trainiert, die aber bereits nach kurzer Zeit etliche Kämpfe in der ersten Runde gewinnen kann und sich zwischen beiden eine Vater-Tochter-ähnliche Beziehung entwickelt. Erst als auch Maggie, wie Eddie einst, einen Meisterschaftsentscheidenden Kampf bestreiten muss, nimmt das Unglück seinen Lauf.
Der Eindruck könnte vielleicht entstehen, wenn es in einem Film schon um den typischen Underdog-Sport Boxen geht und der Titel auch noch „Million Dollar Baby“ heißt, dass Clint Eastwood hiereine ähnliche Geschichte erzählt, wie es bereits „Rocky“ vor beinahe drei Dekaden tat. Gewisse Ähnlichkeiten sind dann vielleicht auch nicht ganz von der Hand zu weisen, doch ist Eastwoods neues Meisterwerk weitaus ruhiger und vor allem tragischer, als in diesem gewählten Beispiel „Rocky“ jemals sein könnte. Basierend auf der Kurzgeschichte eines ehemaligen Cutters erzählt Eastwood die tragische Geschichte seiner beiden zentralen Figuren, nämlich die des Trainers Frankie, als auch die der jungen und ehrgeizigen Boxerin Maggie. Für ihre begeisternde Darstellung in „Boys Don’t Cry“ erhielt sie bereits den Oscar, was ihr in der weiblichen Königskategorie auch in diesem Jahr mit „Million Dollar Baby“ gelang. Zum einen besteht sie bravourös neben den beiden „alten Männern“ Eastwood und Freeman, zum anderen lässt ihre engagierte Darstellung der aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Boxerin keine Kritik zu.
Besonders freuen durfte man sich sicherlich über die längst fällige Auszeichnung für Morgan Freeman, der seit vielen Jahren Charakterdarstellungen auf höchstem Niveau abliefert und auch wenn er hier im Endeffekt eine für ihn verhältnismäßig „normale“ Performance zeigt, der Erfolg sei ihm mehr als nur gegönnt. Seine aus dem Off erzählende Figur ähnelt häufig seinem Charakter aus „Die Verurteilten“ und auch in seinen Auftritten ist er mehr der gute Geist als ein energisch auftretender Lautsprecher. Dass Clint Eastwood sich nicht gerne nur mit einem Job zufrieden gibt, sollte mittlerweile bekannt sein und auch bei der Arbeit zu „Million Dollar Baby“ zeigte sich Eastwood u.a. für die Hauptrolle, Regie und Musik verantwortlich. Was die darstellerische Seite angeht, ist Eastwood im Gegensatz zu den ganz großen Darstellern der Gegenwart sicherlich eingeschränkter in seinen schauspielerischen Mitteln, doch selten hat man ihn in einer Hauptrolle so überzeugend gesehen wie hier. Mit dem üblich kauzigen und launigen Gesichtsausdruck läuft er vor allem im letzten Drittel zu Höchstform und zeigt seinen Kritikern auch hier die lange Nase und rührt zu Tränen.
Wie es sich für einen Film der Marke Eastwood gehört, betritt dieser keine kommerziellen und reißerischen Pfade, sondern geht mit möglichst kleinen Schritten vor, um die höchstmögliche Aufmerksamkeit seines Publikums zu erreichen. Dies gelingt ihm auch in seiner 25. Regiearbeit von Anfang an, was neben den herausragenden Darstellern auch an der Detailverliebtheit der fast durchweg ruhigen Bilder liegt. Zudem lässt es sich Eastwood nicht nehmen, auch Randfiguren immer wieder in das Geschehen mit einzubeziehen, siehe den erfolglosen Pseudo-Boxer Danger Barch (Jay Baruchel), der gemeinsam mit Freeman ein ähnliches Paar bildet wie Eastwood und Swank. Streut Eastwood im Laufe seiner Erzählung immer mal wieder einen kleinen Anflug von Humor seiner launischen Darstellerriege ein, so nimmt die Geschichte im letzten Teil eine dramatische Wendung, mit der in dieser Form wohl nicht zu rechnen war. An Tragik kaum zu überbieten, steuern die gerade auf persönlichen Höhepunkten und Genugtuungen angekommenen Figuren unweigerlich ihrem persönlichen Drama entgegen.
„Million Dollar Baby“ lässt nur wenig Angriffsfläche zu und letztlich sorgt auch nur die in jeder Hinsicht völlig übertrieben und durchweg unfair handelnde Boxweltmeisterin, eine ehemalige Prostituierte aus Deutschland, für Unmut, denn ein derartiger Griff in die unterste Klischeekiste wäre nicht nötig gewesen. Doch kann dies letztlich auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Million Dollar Baby“ einer der Filme des Jahres sein wird. Zu recht prämiert, großartig gespielt, so minimalistisch in seinen Szenen und Ausstattung, so groß in seiner Wirkung. In jeder Hinsicht grandios.
Wertung: (9 / 10)