Eigentlich führt der bescheidene Maurer Jean (Vincent Lindon, „Wenn wir zusammen sind“) ein zufriedenes Leben. Die Arbeit füllt ihn aus, die Familie gibt ihm Kraft und die Pflege des zunehmend gebrechlichen Vaters ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Er habe ja nur den einen, sagt er. In der Profession des Handwerkers liegt auch das Credo seines Seins begründet. Denn jedes Haus braucht ein Fundament, das Halt gibt, einen Sockel, um äußeren Widerständen trotzen zu können. Genau diese Sicherheit glaubt er geschaffen zu haben. Doch plötzlich überkommt ihn eine unbekannte Sehnsucht.
Ausgelöst wird sie durch die Begegnung mit Véronique Chambon (Sandrine Kiberlain, „Der kleine Nick“), der alleinstehenden und innerlich rastlosen Lehrerin seines Sohnes. Er, der wortkarge Malocher, fühlt sich zu der klugen Frau mit der Leidenschaft zum Geigenspiel hingezogen. Und sie sich ebenso zu ihm. Den Ausschlag gibt eine Schulstunde, bei der Elternteile den Kindern von ihrem Beruf erzählen sollen. Trotz anfänglicher Zweifel, ob der einfache Stand eines Maurers überhaupt Interesse wecken könnte, öffnet sich Jean – und fasziniert neben den Schülern auch Véronique.
Nun ist „Mademoiselle Chambon“ aber kein Film voll gefühlsbetonten Kitsches, sondern ein leises und angenehm nüchtern aufbereitetes Drama um die Bürde der Emotionen. Die zögerliche Näherung zwischen dem Familienvater, dessen Frau Anne-Marie (Aure Atika, „Der wilde Schlag meines Herzens“) das zweite Kind erwartet, und der Pädagogin inszeniert Stéphane Brizé („Man muss mich nicht lieben“) mit steter Zurückhaltung und kleinen Gesten. Zwischen schlichter Anmut und subtiler Tragik wird die Geschichte so zum Spiegel menschlicher Zerrissenheit und trifft die Wahrheit so unmittelbar wie lange kein Filmwerk.
Das Einreißen und Hochziehen von Mauern wird zum Symbol der Veränderung. Die klassische Dreieckskonstellation stürzt Jean in schwere Gewissenskonflikte. Die Gefühle zu deuten fällt ihm schwer. Gründet sich seine Leidenschaft auf einen flüchtigen Funkenflug oder ist Véronique wirklich die Antwort auf Fragen, die er sich bislang nicht einmal gestellt hat? Das unsentimentale Ende findet in bestechender Klarheit eine Antwort. Das Fundament hält den äußeren Widrigkeiten stand. Offen bleiben nur die Konsequenzen. Gerade das aber belässt dem hervorragenden Drama seine unterschwellige Gemeingültigkeit.
Wertung: (8 / 10)