„We’ve codified our existence to bring it down to human size, to make it comprehensible. We’ve created a scale so we can forget its unfathomable scale.“ – Spricht Klartext: Lucy
Früher galt Luc Besson als großer Filmemacher. Mit „Nikita“ (1990) legte er einen DER Klassiker des modernen französischen Kinos vor und schuf mit „Léon – Der Profi“ (1994) eines der besten Werke der Neunziger. Mit „Das fünfte Element“ (1997) empfahl er sich auf den Spuren von „Blade Runner“ als Visionär, ehe es ihn mehr in die zweite Reihe verschlug, wo er sich als Produzent und Autor anspruchsloser Actionunterhaltung (u.a. „Transporter“, „96 Hours – Taken“) hervortat. In den letzten Jahren zieht es Besson wieder verstärkt selbst auf den Regiestuhl. Sein jüngstes, auch von ihm verfasstes Werk „Lucy“ jedoch regt bestenfalls zum Kopfschütteln an.
Die durchaus reizvolle Grundidee geht der Frage nach, zu was Menschen imstande wären, wenn sie Zugriff auf die volle Kapazität ihres Gehirns hätten. Einem berühmten wissenschaftlichen Mythos entsprechend nutzen wir nur etwa 10 Prozent unserer potenziellen Hirnleistung. Obwohl diese Theorie wissenschaftlich kaum haltbar ist, erscheint sie beim Blick auf die moderne Welt und nicht wenige Zeitgenossen durchaus anwendbar. Das Problem bei Bessons auf Blockbuster getrimmter Küchenphilosophie ist nur, dass sie trotz Erweiterung des Denkapparates nach Bauart der Science-Fiction – und einem Ideen-Potpourri zwischen „Matrix“, „Crank“ und Anime-Fantasie – erstaunlich geistlos bleibt.
In der Titelrolle macht Scarlett Johansson („Match Point“) eine ansehnliche Figur. Als Studentin in Taiwan soll sie zu Beginn auf Drängen eines Freundes einen Koffer mit mysteriösem Inhalt übergeben. Empfänger ist ein südkoreanischer Gangster (Min-sik Choi, „Oldboy“), der die Sendung, eine neu entwickelte Droge, mit Hilfe eines brutalen Verbrechernetzwerks (darunter Brit-Com-Star Julian Rhind-Tutt, „Green Wing“) außer Landes schaffen will. Zu diesem Zweck werden Lucy und drei Schicksalsgenossen als Kuriere missbraucht. Jedem wird ein Beutel mit der blauen Substanz in den Bauch operiert. Nur reißt der bei Lucy während einer folgenschweren Misshandlung und die Droge wird in ihrem Körper freigesetzt.
Doch anstatt elend zu sterben, erhält sie schrittweisen Zugriff auf die unerschlossenen Teile ihres Geistes. Lucy wird zu einem Überwesen, irgendwo zwischen Terminator, Neo und Chuck Norris. Nach müheloser Flucht liest sie sich in Sekundenschnelle ins wissenschaftliche Werk von Professor Norman (Morgan Freeman, „Million Dollar Baby“) ein, der sich der Erforschung des menschlichen Denkapparates verschrieben und verschiedene Theorien erarbeitet hat, welche Möglichkeiten die kognitive Sublimierung bergen könnte. In der Erwartung von Antworten reist sie nach Paris, wo sich Norman aufhält und Polizist Del Rio (Amr Waked, „Lachsfischen im Jemen“) zum unfreiwilligen Unterstützer wird.
Zuvor wird mit den Gangstern abgerechnet, deren Oberhaupt aber am Leben gelassen wird, damit es in Frankreichs Kapitale sinnbefreit krachen kann. Bessons Regie pocht auf Eile, will darüber aber den Anspruch nicht ausklammern. Nur wirkt es schlicht lachhaft, wenn er Lucys einleitendes Dilemma mit Aufnahmen aus der Tierwelt metaphorisch unterstreicht. Wenn die zunehmend emotionslose Alleskönnerin schließlich die Elemente beherrscht, Menschen wie Licht einfach ausknipst und dem eigenen Verfall durch Verwandlung in eine Art Supercomputer vorbeugen will, steht die Ambition in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Denn neben der prominenten Besetzung und nonchalantem Zynismus hat der visuell aufwändige Bilderrausch kaum nennenswertes zu bieten – insbesondere keine Denkanstöße.
Wertung: (4 / 10)