„Nobody messes with our family.“ – Verna
Horror-Franchises brauchen Veränderung. Das Gesetz der Serie fordert zwar die grundlegende Wiederholung bewährter Motive, doch hilft die Ausformulierung erzählerischer Unklarheiten dabei, den Reiz für die Fangemeinde aufrecht zu erhalten. Zumindest in der Theorie. Die Wahrheit sieht meist anders aus. Das belegt auch „Leatherface“, ein (weiteres) Prequel des Terror-Klassikers „Texas Chainsaw Massacre“ (1974). Das geht – anders als der identisch betitelte dritte Teil von 1990 – der Frage nach, wie der degenerierte Kettensägenschwinger mit der Maske aus Menschenhaut zu dem wurde, was er ist.
Dass solche Entmystifizierungen Horror-Ikonen mehr schaden als nutzen, offenbarte bereits Rob Zombies mäßiges „Halloween“-Reboot von 2007. Dabei schienen die Voraussetzungen günstig, konnten mit den „Inside“-Regisseuren Alexandre Bustillo und Julien Maury doch zwei Hoffnungsträger des bluttriefenden Unterhaltungssujets verpflichtet werden. Die neben Avi Lerner („The Expendables“) von den „Texas Chainsaw Massacre“-Erfindern Tobe Hooper und Kim Henkel produzierte Geschichte ist allerdings kaum mehr als eine Backwood-Variante von „Natural Born Killers“ und verstrickt die bewährten Lili Taylor („Conjuring – Die Heimsuchung“) und Stephen Dorff („Blade“) in einen Familien-Clinch mit Verstümmelungsgarantie.
Texas, 1955: Verna Sawyer (Taylor) ist eine Matriarchin mit blutrünstigem Sippensinn. Ihr jüngster Sohn Jed kann diesen jedoch nicht teilen und zögert, als er dem Leben eines Gefangenen ein Ende bereiten soll. Anders seine Geschwister: die töten die Tochter von Sheriff Hartman (Dorff) auf grausame Weise. Von Rache getrieben, lässt der Gesetzeshüter im Angesicht fehlender Beweise sämtliche Sawyer-Sprösslinge in Kinderheime verfrachten. Zehn Jahre später ringt Verna noch immer um das Sorgerecht für ihre Brut und zettelt, als Freundlichkeit nicht fruchten will, einen Aufstand in der psychiatrischen Verwahrungsanstalt ein, in der Jed unter anderem Namen untergebracht ist.
Im Chaos gelingt dem brutalen Ike (James Bloor, „Dunkirk“), dessen psychopathischer Gespielin Clarice (Jessica Madsen), dem zurückgebliebenen Hünen Bud (Sam Coleman, „Lords of Chaos“) sowie dem vergleichsweise normal wirkenden Jackson (Sam Strike, „M.I. High“) die Flucht. Als Geisel begleitet sie – zwangsweise – die junge Pflegerin Lizzy (Vanessa Grasse, „Roboshark“). Dass sich einer der drei männlichen Flüchtigen als Jed entpuppt – und damit später zu Leatherface wird, liegt auf der Hand. Die Auflösung liefert ein Road Trip ins Ungewisse, der erzählerisch ungewöhnlich weit vom Kern der Splatter-Saga entfernt rangiert. Das kann man je nach Gusto als originelle Erweiterung des Metiers werten – oder einfach schrecklich belanglos finden.
Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Tatsächlich gelingt es Bustillo und Maury, dem Stoff neue Perspektiven abzuringen. Nur darf dabei nicht auf Explikation verzichtet werden. Die von heftigem Aderlass umspülten Gewalteinlagen bleiben dosiert eingesetzt, erscheinen wie die gewollt anstößige Nekromantik-Sexeinlage im abseitigen Wohnwagen aber einzig auf die konventionelle Befriedigung voyeuristischer Neigungen ausgelegt. Damit verbleibt „Leatherface“ schlussendlich doch auf einer Ebene konventioneller Schockertüchtigung. Dafür steht auch das rigide Eingreifen Hartmanns, durch das der wahre Sawyer-Spross identifiziert und ein ideenlos klärendes Finale angesteuert wird, in dem recht eilig und ohne nachhaltigen Nutzen der erste Gesichtsüberzug aus Menschenhaut entsteht. Eine formal solide, unter dem Strich aber überflüssige Klassiker-Ergänzung.
Wertung: (4,5 / 10)