„Where would we be without our painful childhoods?“ – Dr. Finch
Das Masturbatorium des Dr. Finch ist einen Lacher wert. Dieser an sein Sprechzimmer angrenzende Raum dient dem Psychiater als Rückzugsort zur Selbstbefriedigung. Denn, so erzählt er seinen Patienten, das Alter mag unbarmherzig fortschreiten, doch ist er noch immer ein Mann. Einer mit Gelüsten. Dass ein Bild der englischen Königin Elizabeth an der Wand seiner Triebkammer hängt, verstärkt den absurden Effekt. Dieser aber verdeutlicht gerade den Zwiespalt eines ambitionierten Films, der groteske Komik vorschiebt, weil die Ernsthaftigkeit nicht recht funktionieren will.
Die tragikomische Coming of Age-Geschichte basiert auf dem autobiografischen Buch von Augusten Burroughs. Dessen filmisches Alter Ego, gespielt von Joseph Cross („Flags of Our Fathers“), verweist bereits zu Beginn auf die Unglaublichkeit der von ihm beschrittenen Lebenswege. Damit behält er Recht. Der Einstieg erfolgt Anfang der siebziger Jahre, inmitten von Problemkomplexen seiner ruinierten Familie. Augusten ist Einzelkind, Mutter Deirdre (Annette Bening, „American Beauty“) in manischer Depression und Erfolglosigkeit versumpfende Poetin, Vater Norman (Alec Baldwin, „The Departed“) aufbrausender Alkoholiker.
Die Zeit vergeht: Deirdre sucht Hilfe bei Dr. Finch (Brian Cox, „Match Point“), der zur intensiven Therapie rät, um die Ehe zu retten. Wenig später ist Norman weg, gibt sich ganz der Sauferei hin und missachtet die Anrufe seines Sohnes. Der, inmitten der Pubertät, könnte eine Vaterfigur gut brauchen. Also soll Finch einspringen, in dessen chaotische Obhut Augusten von der Mutter kurzerhand übergeben – später sogar per Adoptionsdokument überschrieben – wird. In Natalie (Evan Rachel Wood, „The Missing“), der jüngeren von zwei Töchtern des Psychiaters, findet er eine Leidensgenossin, mit dessen Adoptivsohn (Joseph Fiennes, „Shakespeare in Love“) lebt er seine Homosexualität aus.
Mit geistiger Umnachtung ist nicht nur mancher Protagonist, sondern an vorderster Stelle der deutsche Namensgeber gezeichnet. Wie aus dem originalen „Running with Scissors“ der schlichte wie schlichtweg dämliche Titel „Krass“ werden konnte, wird aufgrund ärztlicher Schweigepflicht wohl auf ewig ein Geheimnis bleiben. Jedoch fügt er sich in die Diffusität von Ryan Murphys („Nip/Tuck“) unbefriedigendem Gesamtwerk ein. Die großartige Besetzung – verstärkt durch Gwyneth Paltrow („The Royal Tenenbaums“) und Jill Clayburg („Ally McBeal“) – hilft dem Film zwar durch sehenswerte Leistungen weiter, vermag die zunehmend weniger nachvollziehbaren narrativen Entwicklungen aber kaum zu entwirren.
Nicht nur das Verhältnis einzelner Figuren zueinander bleibt nebulös, auch die Absicht des Regisseurs. Murphy bemüht sich um skurril überzeichnete Charaktere, die gleichwohl emotional glaubhaft beschaffen sein sollen. Das funktioniert in weiten Teilen nicht, weil er die Bissigkeit des von ihm selbst verfassten Drehbuchs überschätzt. Die Satire um Therapiewahn und die Grenzen der freien Erziehung steht hinter den Momentaufnahmen der sozialen Groteske zurück. So bleibt die in gelungenes Zeitkolorit getauchte Mär von der Schwierigkeit des Erwachsenwerdens eine Blase, die zwar über heiter melancholische Spitzen verfügt, im Kern aber selten ausgewogen erscheint.
Wertung: (5 / 10)