Kamikaze Girls (J 2004)

kamikaze-girlsJapans Kino ist das Kino der Extreme. Filme von kompromissloser Härte, anmutiger Schönheit und tiefer Tragik sind keine Seltenheit – vor allem nicht gemessen an den zunehmend auch in Europa veröffentlichten Werken. Tetsuya Nakashimas „Kamikaze Girls“, basierend auf der Comicbuchreihe von Nobara Takemoto, ist auch ein Film der Extreme. Weniger in Bezug auf Gewaltdarstellung oder Melodramatik, sondern in Anbetracht der ungezügelten Revolution der Bilder. Die irrwitzige Manga-Verfilmung erzählt eine Geschichte vom Erwachsenwerden, jugendlicher Rebellion und sozialem Außenseitertum. Eine oft erzählte Geschichte. Anstatt eine konventionelle Coming-of-Age Ballade abzuspulen, übersetzt Takemoto das Thema in die Sprache des Rock ´n Roll – und entfesselt so tiefsinnigen Total-Trash auf der Überholspur des Lebens.

Im Zentrum der Geschichte stehen Momoko (Kyôko Fukada, „Takeshi Kitanos Dolls“) und Ichiko (Japans Pendant zu Christina Ricci: Anna Tsuchiya, „The Taste of Tea“), zwei Mädchen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Momoko, Erzählerin der Geschichte, schwelgt in der Epoche des Rokoko und trägt Rüschenblusen und -kleider auf – immer und überall. Zufällig kreuzt sie den Weg der rebellischen Ichiko, großmäulige Bikerbraut und kampfeslustige Asphaltamazone. Entgegen aller Differenzen werden die beiden zu Freundinnen und trotzen den Widrigkeiten des Alltags mit kecker Klappe und Kopfnüssen.

Unterschwellig durchquert „Kamikaze Girls“ typische Teenagerproblemwelten, von der Suche nach dem Platz im Leben bis zur ersten unerfüllten Liebe. Allerdings bleibt derartigen Themenstandards eine subtile Abhandlung vorbehalten. Der Film ist irrwitzig, reflektiert den erschaffenen Mikrokosmos in einem quietschbunten Zerrspiegel der Realität. Die Verarbeitung bittersüßer Lebenserfahrung tritt hinter orkanartigen Bilderstürmen zurück. Der Film ist immer in Bewegung, hastet durch Schnittstakkatos, Trickfilmsequenzen und popkulturelle Anarchie. Autor und Regisseur Tetsuya Nakashima („Happy Go Lucky“) entfesselt einen berauschenden wie penetranten Selbstläufer aus Philosophie und Subversion, Metaphorik und Geschmacklosigkeit.

Die Lolita und das Prollweib bahnen sich ihren Weg durch die öde Provinz mit kaltlächelnder Hirnverquirlung. Stilistisch wird ein Feuerwerk gezündet das Maßstäbe setzt. Die Randfiguren, beispielsweise Momokos gefallener Yakuza-Vater (Hiroyuki Miyasako, „Casshern“), transportieren die Welt der Erwachsenen als Pfuhl des Irrsinns. Diesem zu entgehen heißt, sich niemals anzupassen. Das gelingt dem wahnwitzigen Film in jeder Sekunde. „Kamikaze Girls“ ist „Ghost World“ auf Acid, ein durchgeknalltes Panoptikum der Skurrilität. Man mag es oder nicht, Graustufen bedient der Streifen keine. Wer sich darauf einlassen kann, erlebt einen hektischen Teenie-Cocktail voller Witz und abseitigem Charme. Kein Meisterwerk, aber verdammt nah dran.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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