Beginnen wir dem Winter entsprechend mit einer unkritischen Eisbrecherfrage: Wie habt ihr den Jahreswechsel zugebracht?
Werner: Mit Freunden auf dem Sofa vor dem Fernseher mit Oli Geissens großem Silvester-Countdown. Was soll ich sagen, man wird halt auch nicht jünger und mit 34 wird man dann auf dem Goa-Rave im U-Bahn-Tunnel leider angeguckt wie ein Undercover-Drogenfahnder.
Nun aber zum (ähm) knallharten Freizeit-Journalismus: Nach einer gefühlten Ewigkeit habt ihr im vergangenen Sommer den vakanten Platz am Mikro mit Marit füllen können. Welche Anstrengungen musstet ihr erbringen, bevor das Bandkollektiv wieder komplettiert war?
Werner: Es ist im Raum Hannover echt nicht feierlich, MusikerInnen zu finden, vor allem wenn es um Gesang geht. Ich fürchte, wir sind inzwischen auf allen Online-Musikerportalen berüchtigt für unsere Spam-Attacken. Zum Glück hat das jetzt erst einmal ein Ende.
Marit haben wir dann letztendlich über die Empfehlung eines Freundes gefunden, so dass die ganze Anstrengung in der Online-Suche dann auch noch mehr oder weniger umsonst war.
Wie schlimm stand es um den Fortbestand von RUN, MELOS! in den Monaten zuvor?
Werner: Es zehrt natürlich schon etwas an der Motivation, wenn man keine komplette Band am Start hat und keine Auftritte spielen oder Songs aufnehmen kann. Wir hatten aber zum Glück auch alleine im Proberaum immer Spaß, so dass wir nicht darüber nachgedacht haben, uns aufzulösen. Dazu kommt natürlich auch, dass wir Musik generell als Hobby betreiben und insgesamt vergleichsweise unambitioniert sind.
Von daher kam uns der fehlende Erfolgsdruck in der Phase natürlich ganz gelegen, wir haben einfach von der Öffentlichkeit unbeachtet das gemacht, was wir immer machen, was allerdings leider auch die Phasen der Band akkurat beschreibt, in denen wir vollständig und aktiv sind…
Viel Zeit habt ihr nach der Aufstockung des Bandgefüges nicht verstreichen lassen, ehe ihr neue Musik aufgenommen habt. Erzählt doch ein paar Takte über den Schaffensprozess eurer jüngsten, mit dem griffigen Titel „The Good Thing About This Cast Is I Can Still Hold a Knife“ versehenen EP.
Werner: Die EP ist in der Entstehung tatsächlich etwas anders verlaufen als die bisherigen EPs, die wir aufgenommen haben. Bislang bin ich eigentlich der zentrale Gottkaiser im Songwriting gewesen, wir hatten während der neuen EP allerdings mit Oli einen zweiten Gitarristen mit an Bord, der sich auch an der Entstehung der Songs beteiligt hat. Daher tragen die vier Songs, mit Ausnahme des Bonus-Tracks, der vor seiner Zeit entstanden ist, auch seine Handschrift.
Allerdings lasse ich mir ungern ins Handwerk pfuschen, so dass wir uns nach der EP auch wieder von Oli an der Gitarre getrennt haben (lacht). Ein klassischer Fall dessen, was man so als „kreative Differenzen“ bezeichnen würde also. Dank Patrick, unserem neuen Gitarristen, kann ich jetzt im Songwriting wieder mit eiserner Faust durchregieren. Oli spielt aber inzwischen bei einer Hannoverschen Band namens PACKSTATION Schlagzeug, die ich Freunden von gepflegtem Deutschrock auf jeden Fall ans Herz legen würde, auch wenn der Name natürlich eine furchtbare Google-Optimierung aufweist.
Auch diesmal habt ihr alles selbst gemacht. Fällt die Eigenproduktion neuer Musik mit der Zeit leichter oder ergeben sich mit (mutmaßlich) steigendem Anspruch neue Herausforderungen?
Werner: Das zentrale Problem bei der Eigenproduktion der Musik ist natürlich, dass wir keine Ahnung haben, was wir eigentlich tun. Ich beschäftige mich zwar mit Begeisterung mit Recording und Mixing, bin aber leider gleichzeitig immer noch absolut unfähig, wie man bei den fünf Songs deutlich hören kann.
Die Idee, eine selbstproduzierte EP aufzunehmen, resultierte eher aus der Grundidee, die gemeinsam mit Oli entstandenen Songs noch in irgendeiner Form festzuhalten, ohne dafür Geld in die Hand zu nehmen.
Um die nächsten Veröffentlichungen kümmert sich aber auf jeden Fall wieder ein Profi, da meine Lernkurve vermutlich erst in zehn Jahren das Level „akzeptable Qualität“ erreichen dürfte.
Die Song-Benennung mutet wie eine Kurzzusammenfassung von 9Gag an. Wie weit klafft die Schere zwischen Songtitel und -inhalt diesmal auseinander?
Werner: Um ehrlich zu sein: Jeder Zusammenhang zwischen Songtitel und Songtext ist rein zufällig. Meistens stehen die Titel der Songs schon fest, wenn es noch nicht einmal eine Gesangsmelodie, geschweige denn einen Text dazu gibt. Einfach, damit wir die ganzen Ideen, die so im Raum stehen, sinnvoller ordnen können.
Für Profis wären das vermutlich Arbeitstitel, die man später noch einmal anpasst. Aber wenn wir noch anfangen würden, Sachen zweimal anzufassen, würde die nächste Aufnahme vermutlich erst 2025 kommen und die Songtitel sind inzwischen auch mehr oder weniger unfreiwillig zu einem Markenzeichen von uns geworden.
Und überhaupt: Wovon handeln die Stücke auf „The Good Thing About This Cast…“ noch mal?
Werner: Das ist tatsächlich relativ unterschiedlich. Ich würde jetzt ja die alte Plattitüde rauskramen, dass jeder für sich selbst entscheiden soll, was ihm oder ihr die Lyrics bedeuten.
Aber
da sich vermutlich so schnell kein Englisch-Leistungskurs an eine Gedichtinterpretation
unserer Texte wagen wird, vielleicht soviel: Von hochaktuellen Themen wie dem
Imperialismus des römischen Reiches bis hin zur „Wir sind zu alt für diesen
Scheiß“-Hymne ist eigentlich alles dabei.
Ihr habt zu allen fünf Songs Lyric Videos vorbereitet. Mit wie viel Aufwand war
diese Maßnahme verbunden?
Werner: Ich werde definitiv in der Dankesrede für unseren ersten Grammy darauf achten, unsere tiefste Wertschätzung für Gratis-Stockvideos zum Ausdruck zu bringen, ohne deren Hilfe die Videos nicht möglich gewesen wären. Dank iMovie lässt sich das inzwischen tatsächlich relativ schnell erledigen, ein paar Lyrics über Drohnen-Shots von Wäldern einzublenden.
Und wenn man einfach alle Videos zu zwei oder drei ähnlichen Suchbegriffen verwurstet, ist das ganze sogar thematisch irgendwie stimmig. Natürlich haben wir jetzt das Problem, dass die Videos professioneller aussehen als die Produktion klingt, aber das bekommen wir hoffentlich auch noch in den Griff…
Wie sind die Reaktionen auf „The Good Thing About This Cast…“ ausgefallen?
Werner: Reaktionen? Ach so, du meinst dein Review? Das hat uns sehr gut gefallen, vielen Dank dafür!
Ihr habt euch unlängst wieder live präsentieren können. Wie fällt euer Zwischenfazit zur Bühnenpräsenz der aktuellen Bandbesetzung aus?
Werner: „Luft nach oben“ trifft es vermutlich am besten. Wir haben zwei Leute in der Band, die im Dezember das erste Mal Live-Erfahrung gesammelt haben und wir sind generell schon ziemliche Standpfosten auf der Bühne.
Falls Detlef D! Soost zufällig HANDLE ME DOWN liest: Wir brauchen Hilfe! Abgesehen davon ist es natürlich super, nach zweieinhalb Jahren wieder auf der Bühne zu stehen. Ich war selbst etwas überrascht, wie nervös ich vor dem Auftritt war, aber das ist natürlich alles Teil des Live-Vergnügens.
Welche Ziele habt ihr euch für die kommenden Monate gesteckt? Oder anders: Warum wird 2020 das Jahr von RUN, MELOS!?
Werner: Wir haben für den Oktober Studiozeit gebucht und schaffen es im Idealfall bis dahin, genug Material für unser Debütalbum zusammenzukratzen. Nach fünf EPs und sieben Jahren Bandbestehen wird das vermutlich auch mal höchste Zeit.
Im Februar nehmen wir vorab schon einmal einen neuen Song auf, der hoffentlich die Hitsingle des Albums wird. Wenn die ganze Geschichte mit Detlef D! Soost so klappt, wie wir uns das vorstellen, gibt es vielleicht sogar auch mal wieder ein Musikvideo.
Falls vorangehend schwerwiegende Themenkomplexe vernachlässigt wurden, habt ihr nachfolgend final Gelegenheit, euch zu diesen zu äußern:
Werner: Twitter-Screenshots sind keine Memes! Bringt Faceswaps zurück!
Ansonsten bleibt nur zu sagen: Vielen Dank für die neuerliche Beantwortung unserer Fragen und weiterhin reichlich Rückenwind für den Weg in die Ruhmeshallen des Pop-Punks!