Interview mit Pleil (Juni 2020)

Stell Dich zum Auftakt doch all denjenigen vor, die mit deinem musikalischen Wirken bislang noch nicht in Berührung gekommen sind.

Marco: Gude! Ich bin Marco Pleil, 1 guter Typ mit Stromgitarre & Songs aus dem Raum Frankfurt/Main. Ich bin seit bald 30 Jahren auf der Bühne des Wahnsinns unterwegs. Zwei Bands sind Geschichte: STRANGE von 1989 bis 1996 und ab 1999 bis 2011 CLOUDBERRY. Danach solo bis heute und laufend als PLEIL. Viele Songs, Alben, Label, Konzerte, Stories und kleine Skandälchen.

Mit Deiner einstigen Band CLOUDBERRY hast Du eine Vielzahl an Konzerten mit namhaften internationalen Bands gespielt. Wie kam es zu dem Entschluss, wieder einen Schritt zurückzutreten und Deinen Solo-Wurzeln neuen Schub zu verleihen?

Marco: Um das in Gänze zu verstehen bzw. nachvollziehen zu können, bedarf es wohl am Besten eines Psychologen.

Kurzversion: Ich stand am Ende von CLOUDBERRY wieder genau da, wo ich am Anfang stand. CLOUDBERRY war zuerst ja auch eine One-Man-Show bzw. ein Wohnzimmerprojekt, das sich erst über die Jahre (wieder) zu einer Band geformt hat. Das war auch alles gut und schön so. Am Ende waren es aber wieder die alten Diskussionen: Ziele, Motivationen, Meinungen, Kampf und Krampf.

Mittlerweile habe ich für so etwas einfach keine Kraft und Energie mehr. Was nicht heißt, dass ich dem Thema Band jetzt abgeneigt bin. Aber ich werde Kontakte nicht mehr suchen und Dinge erzwingen wollen.

Die Corona-Krise hat auf Dich durchaus gravierende Auswirkungen gehabt, immerhin fiel der VÖ-Termin Deines Debütalbums „Die Spur des Kalenders“ voll in die Zeit des Lockdowns. Was hat einer Verschiebung im Weg gestanden – und was hast Du unternommen, um die Platte dennoch so gut wie möglich promoten zu können?

Marco: Ein Album zu veröffentlichen ist ja ein umfangreicher Prozess. Ca. drei Monate vor Veröffentlichung werden die Magazine/Presse angeschrieben und bemustert, die Meldung und Registrierung bei Streaming-Diensten braucht ja auch einen gewissen Vorlauf. Man kann das natürlich alles stoppen bzw. umkoordinieren, aber das kostet wieder enormen Aufwand!

Mit meinem Status als Indie-„Newcomer“ mit Album Nr. 1 ist das, vorsichtig ausgedrückt, Unsinn! Es geht ja hier auch nicht um einen Charteinsteig in Woche 1 oder ähnlichen Business-Quatsch. Musik hören können die Leute ja trotz Virus und Lockdown.

Auf Tour gehen war und ist halt schwierig. Da ich aber unabhängig bin, das ganze Jahr über spielen kann und keine Band habe, mit der ich Termine koordinieren muss, ist das alles recht unverkrampft in verkrampften Zeiten. Ich versuche halt soviel wie möglich online zu machen, wie dieses Interview mit HandleMeDown zum Beispiel.

Für Dich hat die Zwangsreduktion des kulturellen Angebots ein versöhnliches Ende genommen, als Du Mitte Juni im Biergarten des Schanz in Mühlheim Dein Release-Konzert nachgeholt hast. Wie befreiend war der Abend trotz gebotener Sicherheitsbestimmungen?

Marco: Ich bin da im Moment immer noch am drüber nachdenken und reflektieren. Ja, es war toll und auf eine Art befreiend, wieder live auftreten zu können! Und ich liebe das Schanz!

Aber es war nun mal mit Beschränkungen, sowie in einem Biergarten. Nicht unbedingt meine favorisierte Art, ein Konzert zu spielen. Ich bin nun mal in Rockclubs groß geworden und gewachsen, von daher spiele ich da am liebsten.

Es war auch die erste Veranstaltung des Schanz nach dem Lockdown und es war schon ein bisschen Anspannung zu spüren, von meiner Seite aus zumindest. Es war definitiv nicht meine beste Performance, aber das Feedback vom Publikum war gut! In der Summe der einzelnen Teile dann wohl ein netter Abend!

Ungeachtet der gegenwärtigen Lockerungen leiden subkulturelle Einrichtungen vielerorts noch immer massiv unter den Corona-Beschränkungen. Wie bewertest du die Lage, in der das Publikum – oder in Teilen eben diese oder jene Szene – Versäumnisse der Politik aufwiegen muss, um die Clubs und Theater finanziell über Wasser zu halten? Inwieweit werden die Erfahrungen der längst nicht ausgestandenen Corona-Krise die (sub-)kulturelle Landschaft deiner Meinung nach nachhaltig verändern?

Marco: Ich fürchte ich kann Dir da, aber auch mir selber, keine befriedigende und lösende Antwort drauf geben. Ja, es ist brutal! Und keiner, am wenigsten die Politik, kann damit „richtig“ umgehen!

Ich persönlich bin ziemlich überfahren, muss mich selber dazu zwingen, weniger Interviews, Berichte und Statistiken zu lesen. Ich werde sonst nämlich wahnsinnig! Natürlich muss sich etwas ändern! Am Anfang dachte ich naiv und zwangsoptimistisch: „Naja, dann haben die Leute jetzt ja endlich mal Zeit, sich intensiver mit Musik & Kunst zu beschäftigen“.

Ich merke aber recht wenig davon, dass Musik (im Speziellen) jetzt mehr Wertschätzung erfährt. Dass sich durch Corona jetzt neue kreative Synergien ergeben haben, ist mir jetzt auch nicht aufgefallen. In ein Smartphone/Laptop zu spielen empfinde ich eben nicht als die riesen Innovation.

Ich wünsche mir einfach, dass die Clubs und Festivals es schaffen, zu überleben, mitsamt dem ganzen Rattenschwanz hintendran (Tontechniker, Booker, usw.). Dass das Live-Geschäft für Musiker eine DER Einnahmequellen ist, ist ja mittlerweile bekannt. Hätte ich die zündende Idee, so glaube mir, ich würde uns da alle rausholen!

Ein positiver Nebeneffekt der Krise ist die Offenlegung politischer Unfähigkeit populistischer Politiker und Parteien. Das aktuelle Schaulaufen der Verschwörungstheoretiker relativiert diese Tendenz allerdings. Wie kann Aluhutträgern des Kalibers Xavier Naidoo oder Attila Hildmann aus Deiner Warte begegnet werden, damit deren kruden Weltbilder nicht noch breitere Anerkennung erfahren?

Marco: Vollidioten gab es immer und wird es immer geben! Das Problem ist, dass diesen gefährlichen Individuen nun mal breit und öffentlich eine Plattform gegeben wird!

Würde nicht jeder Dritte irgendein beklopptes YouTube-Video auf SocialMedia teilen, auch wenn es nur aus dem Grund ist, sich darüber lustig zu machen, dann hätten die auch nicht diese Aufmerksamkeit! Wir leben aber im Zeitalter von Instagram, Facebook und Konsorten, dementsprechend herrscht nun mal ein Overkill an Meinung.

Ich ignoriere diesen Schwachsinn soweit es geht, ich bin auch in keiner Facebook- oder WhatsApp-Diskussionsgruppe. Und irgendwas auf Social Media zu kommentieren, habe ich aufgegeben, da bekomme ich nur schlechte Laune.

Aber zurück zu „Die Spur des Kalenders“: Was kannst du über den Produktionsprozess des Albums erzählen?

Marco: Geschrieben habe ich die Songs über die Jahre hinweg. Einziger Vorsatz war: Jeder Song muss zumindest 1 Mal live getestet werden, denn so merke ich am Ende, ob er funktioniert oder nicht. Im RAMA-Studio bei Christian Bethge war ich für 5 Tage. Das war relativ unspektakulär.

Wir haben fast ohne Pause aufgenommen. Ich hatte die Arrangements ja schon fertig, auch die meisten Gitarrenoverdubs hatte ich mir schon ausgedacht. Wir haben einfach gemacht, das Ergebnis dann ein paar Wochen liegenlassen, um freie Ohren zu bekommen, und dann hat Chris gemischt.

Mit welchen Themen setzt Du dich textlich in deinen Songs auseinander?

Marco: Wie ich immer wieder aufs Neue bemerken darf, wenn auch erst weit nach dem Komponieren der Songs: Es sind alles Themen aus dem tiefsten Unterbewusstsein. Auch wenn ich mich beim Schreiben erstmal hinsetze, auf der Gitarre vor mich hinspiele und irgendein Kauderwelsch singe. Nach und nach setzt sich das dann zusammen und macht Sinn.

Was so gar nicht funktioniert, ist mir vorzunehmen über ein bestimmtes Thema zu schreiben. Aktuell schreibe ich ja schon intensiv am zweiten Album. Da ist ein Song, komponiert mitten in der Stimmung und Hochzeit der Krise. Funktioniert aber so gar nicht für mich, wirkt wie ein Fremdkörper. Also: alles intuitiv, persönlicher Hirngulasch, aber bloß nicht konstruieren und auf dem Zettel zusammendenken!

Wo liegen Deine musikalischen Wurzeln und von welchen Bands und Künstlern fühlst Du dich am stärksten beeinflusst?

Marco: Ich höre den ganzen Tag Musik und ich entdecke immer wieder freudig Neues, wo ich mich frage, warum ich das nicht schon vor 20 Jahren im Regal hatte. Aber immer ganz oben in meiner persönlichen Hitparade und tief drinnen im Herzen sind NEW ORDER, JOPY DIVISION, THE CURE und HÜSKER DÜ. Die haben mich durch meine Jugend begleitet und mich zum dem gemacht, was ich heute bin.

In dieses Stimmungsmuster fällt dann fast zeitgleich auch das, was dann aus dem amerikanischen Indie-, Collegerock und Postpunk kam. Also so Sachen wie GUIED BY VOICES, LEMONHEADS, BUFFALO TOM, SEBADOH. Ich liebe aber auch THERAPY? z.B. innigst.

Wie waren die Resonanzen auf „Die Spur des Kalenders“?

Marco: Bis auf einen, der das Album offensichtlich nur angespielt und sogar das Bandinfo falsch gelesen hat, eigentlich durchwegs positiv! Klar, die einfache und offensichtliche Angriffsfläche wurde gerne bedient: die Songs klingen allesamt nach Band, nur ohne Band, wo ist die Band? Aber damit kann ich leben. Es ist halt immer irgendwas.

Fürs kulturelle Kontrastprogramm: Welche Werke kannst du als eingefleischter Film-Crack – aktuell und ewiglich – mit einer klaren Empfehlung versehen?

Marco: Wieviel Platz fürs Interview haben wir? Haha! Also aktuell hat mich als eingefleischter „Star Wars“-Nerd natürlich „The Mandalorian“ restlos begeistert! Das ist „Star Wars“, wie ich es mir für die letzte Trilogie gewünscht hätte! Ansonsten fand ich aktuell nur „Der Leuchtturm“ super, mit Willem Dafoe und Robert Pattinson.

Meine All-Time-Liste ist lang. Ich liebe „Nosferatu“ von Werner Herzog, als Sci-Fi-Fan seit Kindheit darf John Carpenters „Das Ding“ natürlich nicht fehlen, auch „Sie leben”. Der erste und originale „Evil Dead” natürlich, alleine aus dem Grund, weil dieser damals Hauptgesprächsthema im Sportunterricht war: „Alter, ich hab den krassesten Flm der Welt gesehen”. Wichtig natürlich auch die ganzen tollen Filme aus den 80er Jahren, „Die Goonies”, „Big Trouble in Little China”, „Fletch, der Troublemaker”.

Die letzten Jahre war richtige Begeisterung eigentlich Mangelware. Empfehlen kann ich für alle Zeitreise-Fans „Predestination” mit Ethan Hawke, ganz toller Film! Wenn man’s nachdenklich und philosophisch haben möchte, dann empfehle ich „A Ghost Story” mit Casey Affleck und Rooney Mara. Und „Under The Skin” mit Scarlett Johansson hat auch so diesen Weirdo-Einschlag, den ich so sehr mag.

Was sind deine Pläne für die zweite Hälfte dieses denkwürdig absurden Jahres?

Marco: Ich hoffe, dass ich mir noch ein paar Konzerte zusammenbuchen kann. Ein paar Termine, die ich vor Corona gebucht hatte, stehen ja weiterhin bzw. wurden verschoben, aber im Moment muss man ja auch sehr spontan agieren. Ist mir recht und wird im besten Fall auch passieren. Ansonsten schreibe ich am zweiten Album. Ich komme gut voran und sammle Songs, mal sehen.

Die letzten Worte gebühren ebenfalls dir:

Marco: Bitte supportet Eure Lieblingskünstler, -clubs und -festivals! Und bitte bitte, hört auf BILD-Zeitung zu lesen! Danke!

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