Interview mit Evan Freyer (Oktober 2019)

Photocredit: Lufre Photography

Stell dich doch einleitend kurz all den Menschen vor, die bislang noch keine Berührungspunkte mit dir und deiner Musik gehabt haben.

Hallo! Mein Name ist Evan Freyer und ich mache jetzt seit mehr als zehn Jahren dieses Solo-Ding. Wenn man so will, kann man meine Musik grob als Singer-Songwriter-Musik einordnen. Zumindest live, da ich da meist allein mit Akustik-Gitarre spiele.

Ich war aber schon immer mehr dem klassischen Pop-Rock, oder gar Pop-Punk zugewandt. Das hört man dann auf den Alben, auf denen die meisten Songs im vollständigen Bandgewand aufgenommen wurden.

Textlich wurde ich wahrscheinlich stark von den DIE ÄRZTE geprägt, daher bin ich mal belanglos und mal politisch. Mir ist dabei aber auch wichtig, dass ich die klassische Bildsprache, die in deutscher Pop-Musik vorherrscht, hin und wieder durch IT-Begrifflichkeiten und eher „nerdige“ Elemente aufbreche.

Die Gehversuche deiner Band FIVE DEGREES zeigen, dass der (Indie-)Pop bei dir nicht immer an erster Stelle gestanden hat. Wie kam es zum kreativen Richtungswechsel – und vor allem dem Entschluss, alleine Musik zu machen?

Da hat sich aber jemand mit meiner ganz dunklen Vergangenheit beschäftigt. FIVE DEGREES war meine erste Band und meine ersten Gehversuche mit der Musik. Ich hatte damals noch weniger Ahnung als heute und wir waren damals alle sehr jung. Meine damaligen Bandkollegen waren seinerzeit echt scharf auf Prog-Bands wie DREAM THEATER oder PAIN OF SALVATION und das hat sich dann gezeigt.

Es gab da aber auch sehr unterschiedliche musikalische Interessen. Ich war eher auf der Pop-Rock-Schiene, Daniel fand 1980er Glam-Hard-Rock total geil und der Rest war eben heiß auf Prog-Rock. Wir haben damals noch versucht, diese stellenweise völlig unterschiedlichen Stile zusammenzuführen. Das hat aber einfach nicht funktioniert. Daher haben wir uns letztlich auch aufgelöst.

Wir hatten zum Ende hin auch einige Wechsel in der Besetzung und unser letztes Jahr ging vollständig mit Proben und Aufnahmen der alten Songs drauf. Da hatten wir auch keine Ahnung von und das dauerte alles immer so ewig, da wir auch ziemlich penibel genau auf Details geachtet haben. Um eine tolle Produktion rauszubringen, haben wir uns auch noch eine Auftrittspause verschrieben. Das führte dann dazu, dass ich parallel Solo-Sachen gemacht habe, um auch aufzutreten.

Das war damals eine bewusste Entscheidung gegen eine große Band und gegen diese Komplexität. Das Konzept war einfach: Ich schreibe die Songs, ich arrangiere sie, ich nehme sie (eher schlecht als recht) auf und ich kümmere mich nicht so sehr um Qualität. Das war so eine Gegenbewegung zu FIVE DEGREES. Ich wollte einfach mal etwas fertig machen. Und nun bin ich immer noch dabei.

Bei klassischen Sängern/Songschreibern stellt man sich immer noch den Jungen mit seiner Gitarre vor. Von Live-Darbietungen abgesehen nimmst du deine Musik aber fast immer im Quasi-Bandverbund auf. Folgst du bei der Entwicklung von Songs eher der Vorstellung des instrumentalen Kollektivs oder der einsamen Akustikgitarre?

Ich schreibe fast alle Songs erstmal auf meiner Akustik-Gitarre. Allerdings gehen da in meinem Kopf ganz oft schon die anderen Instrumente los. Das ist so eine Mischung. Meist arrangiere ich die Songs im gesamten Bandkontext, versuche aber dabei immer darauf zu achten, dass sich die Songs auch alleine auf der Akustik-Gitarre spielen lassen können. Ich glaube, dass sich fast jedes Lied von mir auch in dieser reduzierten Besetzung „vollständig“ anhört, aber ich denke schon, dass die „richtige“ Version die Bandversion ist.

Im Frühjahr hast du dein jüngstes Album „Verpixelt“ vorgestellt. Was kannst du zur Entstehungsgeschichte der Platte erzählen?

„Verpixelt“ war für mich eine wahnsinnig schwere Geburt. Alle meine vorherigen Alben wurden im Studium gemacht und da hatte ich viele Ideen und vor allem viel mehr Zeit. Die „Verpixelt“-Songs sind alle entstanden, als ich mit dem Studium fertig wurde und anfing, in Vollzeit zu arbeiten. Klar, ich musste nebenbei nicht mehr (für Klausuren) lernen und hatte nach Feierabend wirklich Feierabend. Aber rein gedanklich war es für mich schwer, mich nach der Arbeit in eine Stimmung zu versetzen. Doch irgendwann flossen die Songs dann dennoch aus mir raus, es hat nur länger gedauert.

Viel länger hat diesmal auch die Produktion gedauert. Die Demo-Phase zog sich elendig lang, da ich mich nicht mehr einfach nur tagelang zurückziehen konnte. Das war dann letztlich auch der Grund, warum ich zum ersten Mal für ein paar Aufnahmen in ein Studio gegangen bin und das Mixing und das Mastering abgegeben habe. Das war für mich zeitlich einfach nicht mehr möglich. Letztlich war das auch eine sehr gute Sache, denn so gut wie auf „Verpixelt“ klangen meine Songs noch nie. Marc (Drum-Aufnahmen), Jan (Mix) und Daniel (Mastering) haben einen fantastischen Job gemacht.

Der Titel von „Verpixelt“ nimmt die Nähe zu digitalen Themen vorweg. Fühlst du dich als Digital Native oder eher als zunehmend alter Sack, der den neuesten Social-Media-Trends mit wachsender Skepsis begegnet?

Social Media geht mir, ehrlich gesagt, auf die Nerven. Wäre ich kein Musiker und gäbe es nicht so viele Kontakte auf Facebook, würde ich zumindest dort keinen Account mehr haben. Ich halte Social Media wie es aktuell existiert auch für eine echte Gefahr. Das liegt zum einen natürlich an den Filterblasen und dem Fakt, dass wir für die Plattformen nicht die Kunden, sondern das Produkt sind. Zum anderen denke ich, dass unsere Gesellschaft vom technologischen Fortschritt in diesem Bereich überholt wurde.

Erinnern wir uns doch mal zurück: Das Smartphone wie wir es kennen ist gerade mal um die zehn Jahre alt. Vor dem Smartphone hat sich nur eine ganz kleine Gruppe von Menschen für das Internet interessiert. Diese Nutzer haben dafür aber ein technisches Gespür gehabt und eine gewisse Medienkompetenz, um mit der ganzen Freiheit im Netz auch entsprechend umzugehen. Klar, wir haben damals schon Kettenbriefe per ICQ herumgeschickt und Falschmeldungen geglaubt. Doch wir wollten lernen und haben gelernt. Und plötzlich gibt es einfaches Internet für alle.

Heute sind einfach alle vernetzt, aber der Großteil der Bevölkerung weiß doch gar nicht, was das heißt. Computerwissen war ja auch „uncool“ und damit wollte man sich nicht beschäftigen. Nun bekommen wir dieselben Kettenbriefe per WhatsApp und dieselben Falschmeldungen, jedoch von Personen, die nie gelernt haben, mit diesem Medium umzugehen. Das halte ich für enorm problematisch.

Dennoch bin ich aber auch vorsichtig optimistisch, dass das alles noch gut ausgehen wird. Letztlich hoffe ich einfach, dass Technologie mehr Probleme löst als sie erzeugt.

Per Crowdfunding hast du dir sogar den Traum einer Vinyl-Version von „Verpixelt“ erfüllt. Wie schwer war es, Menschen von diesem hehren Ziel zu überzeugen?

Gar nicht so schwer wie noch vor ein paar Jahren. Die Vinyl hat eine unglaubliche Renaissance hinter sich und noch immer ist sie das physische Medium mit dem größten Wachstum. Das wundert mich nicht. Die CD bietet abgesehen vom grundsätzlichen Fakt, dass man etwas in der Hand hat, keine Vorteile zu digitalen Fassungen.

Laptops haben aber ganz oft kein optisches Laufwerk mehr und immer mehr Autos kommen ohne CD-System aus. Das fühlt sich auch im direkten Vergleich mit digitalen Medien etwas überflüssig an. Bei Vinyl dagegen hat man Platz fürs Artwork und jeder Durchlauf klingt anders, da es sich hier einfach um eine absolute analoge Erfahrung handelt. Das bekomme ich auch auf Konzerten immer öfter mit: Entweder man holt sich Vinyl oder man streamt es.

Mit einer reinen CD-Version hätte ich daher beim Crowdfunding wahrscheinlich gar nicht so viel Erfolg gehabt. Man muss aber auch sagen, dass mir da einfach sehr viele Freunde, die Familie und Kollegen wahnsinnig ausgeholfen haben. Dafür bin ich auch sehr, sehr dankbar.

Bei aller Leichtigkeit deiner Musik befasst du dich auf „Verpixelt“ mit durchaus kontroversen Themen. Wie schwer ist es, Pop mit Texten über Ausgrenzung oder religiöser Radikalisierung zusammenzubringen?

Eigentlich fällt mir das recht leicht. Ich denke viel über diese Themen nach und diskutiere auch gerne mit anderen Menschen über mögliche Gründe. Außerdem mag ich es auch, poppige Melodien mit gewichtigen Themen zu kombinieren. Ich denke, es gibt wenig, was so stark ist wie ein Ohrwurm, der einen auch nachdenken lässt. Nur bei den Live-Konzerten fällt es mir oft schwer, diese Songs zu spielen, da man am Abend ja auch Spaß haben möchte.

Oft formuliere ich ja auch durchaus ironisch und nicht ganz so eindeutig, zum Beispiel wie bei „Ongida“. Wenn man da nicht richtig hinhört und nur die falschen Zeilen wahrnimmt, denkt man vielleicht wirklich irgendwann, dass ich eine PEGIDA-Aktion gründen möchte. Das war damals schon bei „18 == 100“ so, als einige im Publikum sich nicht sicher waren, ob ich vielleicht doch gerade Wahlwerbung für die FDP machen möchte, wobei ich jetzt natürlich nicht die bescheuerte PEGIDA-Bewegung mit FDP-Wählern gleichsetzen will.

Copyright: Metalblümchen Photography

Welche Gefühle überkommen dich angesichts der jüngsten AfD-Wahlerfolge oder der noch immer absurden Diskussion über Flüchtlingsrettung im Mittelmeer?

Ich glaube, dass genau dafür der Kackhaufen-Emoji erfunden wurde. Ich habe in meiner Kindheit schon viele Berührungspunkte mit Rechtsradikalität gehabt. Meine Mama ist ja Koreanerin, was man mir natürlich direkt ansieht. Wir hatten da in unserer Umgebung den „Siepen Sturm“, eine recht notorische, rechte Gruppierung. Das war überhaupt nicht angenehm.

Aber auch im Alltag waren da Situationen, die ich als kleines Kind überhaupt nicht verstand. Es gab da einen Bauer um die Ecke, der gerne jedes Kind auf seinem Trecker mitnahm, nur mich nicht. „Chinesen nehme ich nicht mit“, hieß es da mir gegenüber. Da war ich natürlich erstmal traurig, auch wenn ich die ganze Bandbreite erst später wirklich begriff.

Zwischenzeitlich hatte ich eigentlich den Eindruck, dass das wirklich nur noch eine Randerscheinung ist und dass wir im Großen und Ganzen darüber endlich hinweg sind. Zumindest hier in Deutschland. Aber die AfD-Ergebnisse sind natürlich erschütternd. Es kann mir auch keiner sagen, dass das reiner Protest ist. Das würde es ja noch trauriger machen: Aus Protest den „versteckten“ Rechtsradikalismus zu wählen ist in meinen Augen noch blöder, als dies aus Überzeugung zu tun.

Im Vergleich hat die Diskussion über Flüchtlingsrettung im Mittelmeer wenigstens noch eine gewisse Komplexität, sodass ich ein wenig Verständnis habe, dass es hier schwierig ist, eine Lösung anzubieten. Im Grunde ist es aber auch hier einfach: Da sterben Menschen. Denen muss man helfen. Dem sollte die ganze Sache immer untergeordnet sein. Aber die Realität ist da leider mit der ganzen Politik, den verschiedenen Staaten, den viel zu großen Eiern einiger Regierungschefs und den ganzen Konsequenzen doch komplizierter.

Du veröffentlichst deine Musik in der Regel eigenverantwortlich. Ist der DIY-Ansatz bei dir Not oder Tugend – und wie entscheidend ist für dich die letztlich volle Kontrolle über das kreative Auskommen?    

Definitiv Not. Ich hatte nie ein Angebot einer Plattenfirma oder Ähnliches. Ich kann dahingehend leider nicht sagen, ob und wie das alles entscheidend ist. Da gab es auch nie jemanden, der mir gesagt hat „So, jetzt machst du das aber so oder so.“ Jan (Mixer vom Album) sagt mir manchmal, ich sollte jetzt schon am besten am neuen Album arbeiten, aber da bin ich ja tatsächlich zum Glück unabhängig von. Jetzt gerade in diesem Moment hätte ich sowieso viel zu wenig Material.

Wie waren die Resonanzen von Fans und Kritikern auf „Verpixelt“?

Durchweg positiv. Das ist ja auch schon eine sehr lange Reise, die da hinter mir liegt und ich finde, dass man mit jedem Album merkt, dass es besser und besser klingt. Die Songs werden besser, die Aufnahmen werden runder. Und wie bereits erwähnt: Marc Sokal, Jan David Engel und Daniel Schmidt haben da alles auf ein neues Level gehoben. Ich bin sehr, sehr zufrieden.

Photocredit: Lufre Photography

Wo liegen deine musikalischen Wurzeln und von welchen Bands und Künstlern fühlst du dich am meisten inspiriert?

Im deutschsprachigen Bereich haben mich schon immer DIE ÄRZTE angesprochen. Die Texte und die musikalische Varianz waren da immer sehr spannend. Auch live war das immer eine große Inspiration. Außerdem mag ich die Art und Weise von Thees-Uhlmann-Texten.

Außerhalb Deutschlands hat mich die frühe 2000er Pop-Punk-Welle total beeinflusst. Bands wie SR-71, SUM 41, BLINK-182 und all die anderen Zahlenbands liefen zu der Zeit hoch und runter. Dazu kommt noch Butch Walker, der mir vor allem produktionstechnisch und auch beim Songwriting wahnsinnig imponiert hat.

In den letzten Jahren sind es aber auch vor allem meine Kollegen, mit denen ich sonst die Bühne teile, die mich inspirieren. Musiker wie Edy Edwards oder Jan Röttger finde ich super inspirierend. Die machen das alles auch schon seit Jahren, sind dermaßen gut und lassen sich nicht unterkriegen. Das ist stark.

Der Song „Im Tal“ ist zugleich Liebeserklärung an und Abrechnung mit deiner Heimatstadt Wuppertal. Wie ist das Stück bei den Bewohnern des Bergischen Landes angekommen?

Gute Frage. Ich bin mir gar nicht sicher, ob den Song viele Leute hier gehört haben. Bisher habe ich positives Feedback bekommen, auch wenn das Lied sich vielleicht nicht so sehr als Hymne eignet, wie ich es gedacht hatte. Dafür ist es dann vielleicht nicht überhöhend genug.

Aber genau das ist Wuppertal ja auch: Viele gute Ideen, viele tolle Stellen aber mindestens genau so viele Stellen, die gedankenlos oder verkommen sind. Hier ist so viel Potenzial und so viel guter Wille, aber gleichzeitig auch viele hässliche Ecken. Ich würde mir wünschen, dass der Song noch von mehr Bewohnern hier wahrgenommen wird und würde mich über Feedback sehr freuen.

Was sind deine Pläne für die nähere Zukunft?

Das ist aktuell schwierig. Das Album ist noch recht frisch und mit der Schallplatte habe ich definitiv etwas von meiner Bucket-List abhaken können. Ich denke, ich werde so viel wie möglich spielen, damit ich das Album aus meinem Zimmer zu den Leuten bringen kann. Der Platz hier in der Wohnung wird nämlich langsam etwas rar und da müssen die Schallplatten weg.

Ich habe früher sehr häufig außerhalb NRWs gespielt, was dann irgendwann eingeschlafen ist. Ich denke, ich würde da gerne noch mal mein Augenmerk drauf legen. Ach und: Die blaue Bühne auf dem Hurricane natürlich.

Und auch die abschließenden Worte gebühren dir:

Danke dir für die tollen Interview-Fragen und die super Rezension. Es gibt nicht viele Online-Magazine, die so lange dabei sind und noch so regelmäßig Content liefern. Schön, dass man das noch sehen kann, mach weiter so!

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