Interview mit Detlef (November 2020)

Punk braucht Rotz. Und Dreck. Am besten ganz unten vom Studioboden. Während andere Genre-Legaten bei der Definition ihres Sounds auf Perfektion pochen, geht es DETLEF – neben dem Spaß – vor allem um eines: Effizienz. Das Trio läuft wie eine gut geölte Maschine und liefert Album um Album eine Hitkanonade bemerkenswerter Güte ab. Das war schon zu Zeiten von SUPERNICHTS so und setzt sich in reduzierter Bandbesetzung auch mit dessen „militantem Arm“ nahtlos fort. Schubladen waren eben schon immer für Konsens-Combos und ihre Erfolgsfans.

Es ist Abend, Ende November. Immer noch Corona-Lockdown. Statt eines persönlichen Gesprächs am Kiosk, bei dem das Beschnuppern buchstäblich stattfinden kann, haben wir einen Interview-Termin per Skype vereinbart. Und so tauchen auf dem Monitor gegen halb neun, pünktlich wie die Maurer (oder Meurer?), die drei Detlefs auf: Detlef Meurer (Gitarre/Gesang), Detlef Löber (Schlagzeug/Gesang) und Detlef Damm (Bass/Gesang). Das Trio hat sich in einem Wohnzimmer in Köln Ehrenfeld eingefunden und verköstigt „Sektchen“. Den gibt es zu Ehren der Debüt-Vaterschaft von Detlef Damm. Dazu auch auf diesem Wege noch einmal herzliche Glückwünsche!

Das virtuelle Anstoßen von der einen Rheinseite zur anderen ist der Auftakt eines ausgiebigen Plauschs, u. a. über Musik, Szene, die Auswirkungen der Pandemie und Fußball. Das Springen von einem Thema zum anderen schließt einen roten Faden kategorisch aus. Der besseren Orientierung halber gliedert sich die Zusammenfassung im Folgenden daher in (halbwegs) geschlossene Kapitel. Die vielen Lacher im Zuge der teils herrlich überzogenen Statements muss man sich – wie bei einer klassischen Sitcom – einfach dazu denken.

Aber zunächst noch einmal zurück zum Kinderkriegen, bzw. zur frühkindlichen Musikerziehung: „Weißt du eigentlich, dass alle Kinder die RAMONES lieben? Wenn du Kindern die RAMONES vorspielst, fangen sofort alle an zu tanzen. Eigentlich sind das alles Kinderlieder“, erzählt Detlef Löber.

Bei uns zu Hause spielen die mächtigen RAMONES bei der Beschallung des Nachwuchses bislang keine Rolle. Da wird mehr Deutsch-Punk gefordert. Vorrangig ob der Verständlichkeit der Texte. DETLEF passen da hervorragend ins Raster. Zumindest bei Songs mit gemäßigtem Aufkommen an Kraftausdrücken.

Keine Zeit für Geld: Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen

Covid-19 lastet schwer auf dem kulturellen Sektor. Doch selbst wenn DETLEF vergleichsweise gediegen durch die turbulenten Monate gekommen sind, der Mangel an Auftrittsmöglichkeiten trifft auch die leidenschaftlichen Freizeit-Musiker hart. Dabei kann Detlef Meurer zumindest etwas Positives vermelden: „Also ich für meine Person kann sagen, dass ich nicht weniger gesoffen habe als letztes Jahr zu der Zeit.“

Trotzdem herrscht Einigkeit darüber, dass die Kulturschaffenden von der Politik weitgehend im Stich gelassen wurden. „Das ist große Scheiße und völlig ungerecht“, sagt Detlef Leuber. „Vor einiger Zeit war Götz Alsmann im Morgenmagazin, um seine neue Platte zu promoten, und meinte, dass das nicht sein kann. Wir sind die fünftgrößte Branche in Deutschland, erwirtschaften jährlich drei Milliarden Euro für den Fiskus und haben nichts gesehen. Das lasse ich mal so stehen.“

Nun sind Künstler wie Götz Alsmann und DIE ÄRZTE, die ihren viel beachteten Auftritt in den Tagesthemen dazu nutzten, um auf die Probleme des kulturellen Sektors Aufmerksam zu machen, weit weniger extrem betroffen, als beispielsweise Bühnenbauer oder Tontechniker. Das Fazit der drei Detlefs: „Gute Aktion.“ Für Detlef Meurer ist das Ende der Geschichte damit aber längst nicht erzählt: „Ich glaube, wir sind uns alle einigermaßen einig, dass die aktuellen Maßnahmen insofern ein bisschen fraglich sind, da sie viele kleine Kneipen treffen, die sich an die strengen Auflagen gehalten haben. Und die werden jetzt einfach wieder geschlossen. Was uns dabei natürlich antreibt ist die Frage, wie es denn aussieht, wenn diese Läden irgendwann wieder aufmachen dürfen. Wer ist denn dann überhaupt noch da?“

Die Frage ist berechtigt. Insbesondere, da diverse alteingesessene Punk-Clubs in der gesamten Republik vor ernsten Überlebensproblemen stehen. Detlef Löber dazu: „Das SO36 in Berlin ist beispielsweise kurz vor dem Ende. Das ist einer der Läden, in denen eigentlich alles passiert.“ Doch auch die lokalen Vertreter in Köln bereiten Sorgen, wie Löber eindringlich anfügt: „An dieser Stelle möchte ich mal bitte dazu auffordern, T-Shirts vom Em drügge Pitter und vom Sonic Ballroom zu kaufen. Die krebsen leider gerade sehr rum und das sind quasi unsere Wohnzimmer.“

„Es gibt ja immer wieder Behelfsaktionen, wo man dann Sitz- oder Parkplatzkonzerte spielt. Das haben wir auch ein, zwei Mal gemacht. Das ist okay und ja irgendwie auch ein kleiner Rettungsanker für die Läden, um sich noch ansatzweise durchzukämpfen. Aber das ist weder für die Künstler noch die Zuschauer ein riesengroßer Spaß“, schließt Detlef Damm an.

Am Tag des guten Lebens: Reizthema Gentrifizierung

An dieser Stelle passt die thematische Überleitung. Denn mit dem drohenden Verlust diverser Szene-Clubs und -Kneipen wird zwangsläufig ein weiterer Komplex befeuert: die Gentrifizierung in den Ballungsgebieten. „Die Immobilienpreise steigen und dann freuen sich alle darüber, dass die Läden teilweise dicht machen müssen und die ganze Scheiße teurer verkauft werden kann“, gibt Detlef Meurer zu bedenken.

Die Entwicklung bedeutet auch in Köln Ehrenfeld eine massive Bedrohung für die subkulturelle Vielfalt. Der Club-Klassiker Underground musste bereits weichen. Dass weitere folgen werden, scheint nur eine Frage der Zeit. „Der Sonic Ballroom ist eine der letzten Bastionen. Wenn der Ballroom und Em drügge Pitter weg sind, dann ist Ehrenfeld wirklich am Arsch“, resümiert Detlef Löber.

Direkt um die Ecke des Sonic Ballroom liegt noch die üppiger dimensionierte Live Music Hall. Doch auch deren Existenz sieht Detlef Meurer akut gefährdet: „Auch wenn die Live Music Hall ein scheiß Laden ist, man muss ja froh sein, dass es den überhaupt noch gibt. Da werden ja direkt gegenüber Wohnungen und so weiter gebaut. Da ist die Live Music Hall doch immer noch deutlich besser als die Einheitswohnungen, die dann 700.000 Euro für 100 Quadratmeter kosten, weil sie im coolen Ehrenfeld liegen. Obwohl Ehrenfeld dann gar nicht mehr so cool ist, weil die nämlich genau hier hin ziehen.“

Ich saufe häufiger als du: Die Arbeiten am neuen Album

Am 4. Dezember 2020 wird die Veröffentlichung des zweiten DETLEF-Langspielers „Supervision“ gefeiert. Wieder 19 Tracks, wieder ausnahmslos Hits. Zufall ist das nicht. Mehr schon harte, für manche möglicherweise überraschend professionelle Arbeit. Nur aus den Aufnahmen in Transsilvanien wurde nichts. Schade eigentlich. Die Schublade „Karpaten-Core“ hätte dem Trio sicher gut gestanden.

„Es war alles schon unter Dach und Fach“, berichtet Detlef Löber. „Der Detlef Meurer hatte ein Studio aufgetan in Cluj-Napoca – übrigens einer meiner liebsten Fußballvereine seitdem. Aber dann kam eben alles ganz anders.“ Ersatz fand sich in Karlsruhe, dem Transsilvanien Baden-Württembergs. „Der Uwe, der die Aufnahmen gemacht hat, wohnt da. Die erste Platte haben wir noch in Berlin aufgenommen, weil der Uwe damals dort gelebt hat. In Karlsruhe konnten wir in einem autonomen Jugendzentrum bzw. in einem angrenzenden Café aufnehmen – natürlich unter Corona-Bedingungen. Da war ja Lockdown. Das war schon alles ein bisschen obskur“, beschreibt Detlef Meurer die Rahmenbedingungen.

„In einem Supermarkt in Karlsruhe haben wir das erste Mal einen Mundschutz tragen müssen. Das war total strange, das werde ich bestimmt niemals vergessen“, ergänzt Detlef Löber. Der Anekdotenfundus ist damit aber längst nicht ausgeschöpft: „Die einzigen, die sich nicht an die Corona-Bedingungen gehalten haben, war so eine Hippie-Meute, die auf einem kleinen Rasenstück vor dem Jugendzentrum, wo wir aufgenommen haben, ihre Großküche für den Marktplatz vorbereitet hat. Denen war alles egal“, fügt Detlef Damm an.

Die erste Platte, „Kaltakquise“ (2018), wurde im Studio binnen drei Tagen eingeknüppelt. Beim Nachfolger war der Zeitrahmen identisch. „Wir haben in Karlsruhe in drei Tagen alle Instrumente sowie Hauptgesänge und teilweise Background-Gesänge erledigt. Hinterher haben wir noch einen Tag in Köln im Proberaum ein bisschen Grölchöre aufgenommen. Und das war es dann eigentlich auch schon“, umreißt Detlef Meurer den Produktionsprozess. Doch halt. Ganz so einfach ist es nicht. Denn mit dieser gnadenlosen Effizienz beweisen DETLEF unweigerlich mehr Vollprofi- als Vollproll-Attitüde.  

„Das ist schon so gewollt. Das war bei SUPERNICHTS genauso. Wir fahren zusammen irgendwohin und sind total fokussiert. Dann kannst du in 12 bis 14 Stunden pro Tag einiges auf die Reihe kriegen. Dafür musst du aber weg von zu Hause sein. Und wir waren sehr gut eingespielt. Im ersten Lockdown, im Frühjahr, haben wir unheimlich viel, immer zu zweit, geprobt. Deswegen waren wir für die Aufnahmen wirklich gut eingespielt. Das ist aber auch unser Anspruch. Wir haben ja nicht viel Zeit mit allen Dingen, die zwischen Familie und Job sonst so laufen“, erörtert Detlef Löber.

Mehr noch legt er nach: „Es ist immer besser, wenn man als Gang – und als Band musst du eine Gang sein – irgendwohin fährt, wo man mit nichts anderem als der Gang zu tun hat. Dann geht das. Dann kannst du trotz Saufen bis in die Puppen konzentriert arbeiten.“ Oder, wie der Kölner sagt: Wer suffe kann, der kann auch arbigge. Diese Praxis kann Detlef Damm nur bestätigen: „Wir haben tagsüber gut was getrunken. Abends und nachts sowieso. Aber es war schon so, dass wir uns den Plan gemacht haben, das genau so umzusetzen, wie wir es in Berlin beim ersten Album gemacht haben.“

Im Detail, so Damm, bedeutet das Folgendes: „Wir haben am ersten Tag Schlagzeug und Bass komplett eingespielt, alle 19 Lieder. Da waren verdammt wenig Zweitversuche bei. Und dann hatte Detlef Meurer die ehrenvolle Aufgabe, am zweiten Tag die Gitarre nachzulegen. So war natürlich die Erwartungshaltung da, alle Spuren – und das waren um die 175 – an einem Tag einzuspielen. Detlef Löber und ich waren dann zwischendurch mal was essen und als wir zurückkamen, waren schon wieder fünf Songs fertig.“ Für das Trio hat diese bewundernswerte Dynamik aber nicht nur eine kreativ musikalische, sondern auch eine menschliche Komponente.

Oder, um diesen Abschnitt mit den Worten von Detlef Damm zu beschließen: „Es gibt wirklich kein schlimmeres Gefühl, als von einer Albumproduktion mit DETLEF wieder nach Hause zu kommen und eine Woche lang im Büro die Wand anzustarren. Man sehnt sich gleich wieder nach der Eskalation. Man weiß eben, dass das nicht so schnell wiederkommt.“

Auge um Auge, Schnaps um Schnaps: Rollenverteilung und Selbstverständnis

Ein Detlef zu sein, daran sollte bis hierhin kein Zweifel bestehen, ist eine grundsätzliche Haltung. Dieter sein kann schließlich jeder. Detlef hingegen nur die wenigsten. Damit verbunden sind viele Mechanismen, die sich scheinbar wortlos vollziehen. „Jeder von uns weiß, wie ein DETLEF-Song sein soll. Und dann gibt es nicht viele Diskussionen. Da bringt einer einen Song mit – und derjenige schreibt in der Regel auch den Text und singt den dann meistens auch. Das ist ein Konsens“, umschreibt Detlef Löber dieses quasi-blinde Verständnis.

Detlef Damm schließt ergänzend an: „Es gibt immer kleine Parts, wo die unterschiedliche Stimme eines anderen Detlef besonders gut passt. Und das wird dann relativ schnell verteilt, ohne groß darüber zu diskutieren. Es ist allen schnell klar, wer was machen muss und welcher Part wem zufällt. Das wird auch beim Songwriting in Teilen schon berücksichtigt.“ Ein konkretes Beispiel liefert Detlef Meurer: „Das verteilt sich manchmal aber auch spontan im Studio. Auf der letzten Platte hatten wir ja „Männer, die gern tanzen“. Da hab ich das Lied und den Text geschrieben und dann aber gedacht, dass da Detlef Löbers Stimme bei der zweiten Strophe sehr gut passen würde. Beim neuen Album haben wir auch wieder einen Song, der von Männern handelt, nämlich „Deutsche Männer“. Den hat allerdings Detlef Damm geschrieben, dann aber wohl eher das Gefühl gehabt, dass da unsere Stimmen besser passen könnten.“

Den großen Vorteil dahinter bringt Detlef Löber auf den Punkt: „Keiner von uns hat besondere Egoschienen oder muss sich irgendwie behaupten. Es geht um DETLEF und nicht um den einen oder den anderen. Es geht darum, dass das Ergebnis möglichst geil ist.“ Dazu passt zweifelsfrei auch das Konzept der Albumaufnahmen: „Schnell hin, schnell fertig, schnell wieder weg“, so Löber. Nach dieser Maßgabe sind alle DETLEF-Platten Konzeptalben. Nur eben nicht im Sinne all jener nach kreativer Meisterschaft strebenden Künstler. „Wir finden das immer absurd, wenn man hört, dass irgendwelche Bands für die Albumproduktion zwei Jahre gebraucht haben. Das würde es bei DETLEF niemals geben“, merkt Detlef Damm dazu an.

„Es liegt aber auch an der Songstruktur und daran, dass wir das schon lange machen. Das ist unsere Art von Musik“, merkt Detlef Meurer an. Zweifelsfrei bietet der Sound von DETLEF und auch der der unvergessenen SUPERNICHTS eine wohlige Art der Verlässlichkeit. Ohne jede negative Konnotation weiß man einfach immer, was man bekommt. Doch gerade weil die Fallhöhe damit relativ gering erscheint, entpuppen sich die dezenten Varianzen auf „Supervision“ als überraschend. Der aggressivere Gesang etwa, oder das kontrastierende Mehr an Chören.

„Ich persönlich finde, dass sich stilmäßig im Vergleich zu SUPERNICHTS nicht so viel verändert hat. Weil wir diesen Stiefel aber auch schon so lange durchziehen, haben wir uns eine, man würde das jetzt wohl „Kapitalistische Marktposition“ nennen, erarbeitet. Das ist jetzt nicht besonders erfolgreich, aber es ist unser Style“, kommentiert Detlef Meurer und ergänzt: „Mit SUPERNICHTS sind wir nie auf großen Festivals aufgetreten, sondern hatten immer einen festen Kreis, der das verstanden hat, der es abgefeiert hat. Dabei waren wir aber immer unter dem Radar. Und das ist nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit.“

„Wir machen aber natürlich auch nur das, was wir können. Wir gucken beim Songwriting auf das, was wir spielen können. Da ist unsere Latte so oberes Mittelfeld“, fügt Detlef Löber an. Das möchte Detlef Damm noch einmal unterstrichen wissen: „Also unsere Latte ist oberes Mittelfeld, das muss noch einmal betont werden!“ Neben der Latte ist aber vor allem die Attitüde entscheidend. Dass im neuen Jahrtausend darüber diskutiert werden muss, dass Punk roh und dreckig sein darf, scheint an Absurdität nur schwerlich zu überbieten. Genau diesen Aspekt leben DETLEF nicht allein auf „Supervision“, sondern mit jeder ruppigen Musikerfaser.

„Für uns ist der Song entscheidend und nicht, wie gut einer seine beschissene Gitarre spielen kann oder seinen scheiß Bass oder sein scheiß Schlagzeug. Das ist aus meiner Sicht auch, was bei vielen Songs einfach falsch ist. Da will jeder irgendwie mal geil sein und dann geht der Song darüber kaputt. RAMONES, „Rocket to Russia“ als Beispiel, da muss man nicht viel für können“, erzählt Detlef Meurer, wobei Namensvetter Löber erwidert: „Ich finde bei „Rocket to Russia“ muss man total viel können, nämlich sein Können einfach mal runterfahren, um das auf den Punkt zu bringen. Das ist überhaupt ein wichtiges DETLEF-Argument, die Sache, die man macht, zu können, und auf den Punkt zu bringen.“

Die Werteverschiebung im Punk ist spätestens seit dem Genre-Revival in den mittleren 1990ern ein beständiges Zeichen der Kommerzialisierung. Früher ging es vorrangig um Rock’n’Roll, Energie und Leidenschaft. Heute gibt es immerhin DETLEF. Und natürlich viele andere, denen das Gefühl wichtiger ist als die Perfektion. „Deshalb sind da auch so viele Punkbands, die sich gleich wieder auflösen, weil der Sänger lieber solo unterwegs sein will. Da geht es viel zu oft um Ego-Kacke“, ergänzt Detlef Damm, ehe Kollege Meurer den Schlusspunkt dieses Abschnitts setzt: „Es kann auch mal räudig sein, es kann auch mal schief gesungen werden, Hauptsache es ist irgendwie cool.“

Alle gegen alle: Von Kotzthemen und Konsenshaltung

Ein Aspekt, der auf „Supervision“ auffällig erscheint, ist die vermehrte Behandlung substanziellerer Themen. Eben solche wie Gentrifizierung oder Konsumrausch. Mit dieser Bündelung weichen DETLEF bisweilen ein gutes Stück von den meist absurden Alltagsbetrachtungen ab, die den Vorgänger und erst recht das Erbe von SUPERNICHTS prägen. Das wirft im Kombinat mit der vorrangig durch den aggressiver vorgetragenen Gesang die Frage auf, wie sehr „Supervision“ ein Produkt seiner Zeit, respektive den Ereignissen des Jahres 2020 ist.

Doch Detlef Meurer will das Mehr an Hass anders eingeordnet wissen: „Das hat mit Corona nichts zu tun. Die Songs waren größtenteils schon vorher fertig und wir haben extra auch gesagt, dass wir keinen Lockdown-Song oder solche Scheiße aufs Album bringen wollen. Wir sind wie gesagt gut durch Corona durchgesurft, um nicht zu sagen durchgesoffen, und das hat uns jetzt gar nicht so mitgenommen. Was natürlich eine Rolle spielt, ist dagegen das ganze Umfeld und wie sich das verändert. So wie in Ehrenfeld. Da wirst du einfach nur sauer.“

„Ich habe morgens oft eine Stunde Zeit zwischen Kind-zur-Schule-bringen und arbeiten gehen und da setze ich mich gerne ins Café an der Straßenkreuzung in Ehrenfeld und gucke, was so passiert“, holt Detlef Löber aus. „Da ist Gegenüber eine Hipster-Bäckerei und ich lass das Handy in der Tasche und guck‘ einfach, was dort passiert. Da siehst du alle großen Themen des Lebens. Du siehst Liebe, Hass, Verrat, Vergebung, Betrug. Es ist alles da. Ich hatte letztens ein schönes Erlebnis, da war so ein Volvo-Familienkutschen-Otto. Und dann kam da so eine Trulla in einem E-Lasten-Bike mit ihren beiden Kindern drin, und die stritten sich nun, wer jetzt wem Platz machen müsste. Und ich saß da und lachte darüber. Und dann guckten die beiden zu mir und blafften mich an. Da hol‘ ich mir meine Songtexte.“

Doch nur gegen andere richten sich DETLEF keineswegs. „Wir nehmen uns da ja nicht raus“, schließt Löber an. „Wenn wir gegen irgendwen pöbeln, dann geht das immer auch gegen uns selber. Es gibt keinen Zeigefinger, nur einen Mittelfinger.“ Solche Sprüche gehören verdammt noch mal auf T-Shirts!

Detlef Meurer erweitert das Spektrum hingegen weit über die Grenzen von Ehrenfeld hinaus: „Das hängt auch mit der gesellschaftlichen Entwicklung zusammen. Damit, dass man immer schön aufpassen muss, was man sagt, damit man keinen gesellschaftlichen Stempel aufgedrückt bekommt. Das ist wesentlich extremer geworden.“ Anteil daran hat zweifelsfrei auch die AfD, die das Sagbare kalkuliert nach rechts verschiebt. Als unmittelbares Feindbild ist die Fascho-Partei für DETLEF allerdings nicht geeignet. Meurer dazu: „Das mit der AfD hab ich schon Hundertmillionen Mal gesagt, das ist längst Konsens, dass das Arschlöcher sind. Aber mir persönlich wäre das zu einfach. Uns geht es eher darum, unser direktes Umfeld aufzumischen.“

„Es wird von DETLEF mit Sicherheit keinen Song explizit gegen die AfD geben. Wer deutschen Punkrock hört, der braucht das nicht. Dass wir alle gegen Nazis sind, ist klar. Das ist Grundvoraussetzung. Dass ZSK auf einem Punk-Festival „Nazis raus“ brüllen, können die gerne machen, aber ich bin da raus“, führt Detlef Löber aus. „Das Problem sitzt aber doch auch tiefer“, ergänzt Detlef Damm. „Mit Rock-Bands, die da so verwaschen und verschwommen agieren. Da gilt es auch einmal genauer hinzugucken. Diese ganzen Texte von wegen „Ich geh‘ meinen Weg, wie beschwerlich er auch ist“. Diese ganze Kacke, die ist teilweise verdammt nah an diesem ganzen rechten Sumpf dran.“

Das sieht auch Detlef Meurer so: „Damit kriegst du eben alle, von der Dorfjugend bis zum langhaarigen Provinzrocker. Nur ist es eben total stumpf. Aber es funktioniert ja, zumindest finanziell.“ Die damit verbundene Außenseiterrolle und Wir-gegen-die-Dynamik sind auch Punk und Hardcore nicht grundsätzlich fremd. Trotzdem gibt es wesentliche Unterschiede zum Grauzonen-Rock, wie Detlef Löber weiß: „Das ist den meisten mal zwei, drei Jahre wichtig. Und danach werden die Unternehmensberater. Es geht ja auch darum, den längeren Atem zu haben. Wir machen das, jeder von uns, seit mindestens zwanzig Jahren. Weil es wichtig ist, weil es Spaß macht, weil es ein Teil von uns ist. Und ob das irgendjemand gut findet, das ist schon relevant, aber es ist nicht das ausschlaggebende Argument.“

Die Glaubwürdigkeit von DETLEF lässt sich aber auch daran ermessen, dass das Video zur ersten Single des neuen Albums, „Ich hasse Kopenhagen, obwohl ich noch nie da war“, keineswegs in Dänemarks Kapitale, sondern vielmehr in Tschechien gedreht wurde. „Deshalb haben wir den Witz auch so aufgelöst und absichtlich woanders gedreht. Aber mit dem Video hatten wir ein Riesenglück. Das haben wir hart auf der Corona-Welle reitend in Pilsen gemacht und sind da ein paar Tage rumgelaufen. Da war ja damals gar nichts. Das war so, als gäbe es Corona gar nicht. Das ist in Tschechien heute ja ganz anders“, erzählt Detlef Meurer. „Und übrigens kostet das Bier in Tschechien nur die Hälfte verglichen mit Dänemark. Von daher ist Pilsen viel besser als Kopenhagen. Wahrscheinlich.“

Wie kann man sich nur nicht für Fußball interessieren: Fan-sein für Hartgesottene

Mit der zweiten Vorab-Auskopplung haben DETLEF ein für das Selbstverständnis vieler Menschen immanentes Thema beackert: den Fußball. Hier trifft der irrationale Glaube an die eigene Mannschaft auf den Unglauben über deren tatsächliche Leistungen. Gerade Detlef Löber kann davon ein Lied singen. Er ist nämlich Schalke-Fan. Entsprechend stolz trägt er das Trikot der Knappen im Video zu „Wie kann man sich nur nicht für Fußball interessieren“. Auffällig dabei ist, dass Duisburg und Schalke, die Herzens-Clubs von Meurer und Löber, mehr im Vordergrund stehen als der von Damm präferierte BVB.

Darauf angesprochen, reagiert Detlef Meurer schmallippig: „Du fällst mir hier gerade tierisch in den Rücken. Das hat der ehrenwerte Detlef Damm auch damals gesagt, als ich das Lied zum ersten Mal angestimmt habe. Dann hab ich ihm aber erklärt, dass der FC Köln, den wir natürlich auch irgendwie ganz lieb haben, und Borussia Dortmund durch die Farben auch im Text eingebracht werden.“ Das ist unüberhörbar. Ein gewisser Klassenunterschied ist dennoch gegeben – wenn schon nicht sportlich, so doch zumindest textlich.

Die „Man kann es eben nicht allen recht machen“-Verteidigung Meurers quittiert Detlef Löber wie folgt: „Ein echter Fußballverein ist blau. Blau ist die Farbe von Fußball.“ Gemessen an Schalke lässt sich das kaum entkräften. Deren Spielweise muss man sich gerade in der aktuellen Saison kontinuierlich „blau“ trinken. Der gemeinsame Nenner findet sich hier letztlich in der Heimatstadt: „Auf den Effzeh können wir uns alle einigen. Und der ist auch richtig scheiße“, so Löber.

Trotzdem bildet der Song auf „Supervision“ eine Ausnahme. Wiederum Löber dazu: „Es geht ja auch ausnahmsweise mal nicht um Hass auf dem Album, sondern um etwas, das wir alle geil finden. Trotz der Konkurrenz unter den Vereinen. Und man sieht, dass im Video die Protagonisten mit Schalke- und Dortmund-Trikot nie direkt nebeneinander stehen, sondern immer der friedensstiftende Duisburger in der Mitte steht.“ Danke Duisburg, du Schweiz des Ruhrpotts!

Ein gemeinsames Fußball-Feindbild findet sich, soweit keine Überraschung, derweil in Abo-Meister Bayern München. Die Ursprünge liegen für Detlef Damm tief in der Vergangenheit verwurzelt: „In der Grundschule war es damals schon immer so, dass die Bayern-Fans ihre Wurstbrote in kleinen Bayern-Brotdosen dabei hatten. Das war alles sehr dick geschnitten und mit viel Butter drauf. Und immer, wenn die ihre Brotdosen aufgemacht haben, waren die sich sicher, da steckt ein bisschen Erfolg drin. Die wurden dann aber immer gehänselt und haben keine Zuneigung von ihren Schulkollegen bekommen.“

Detlef Löber formuliert es noch ein bisschen deutlicher: „Fußballvereine mit den Farben blau und rot sind die schlimmsten.“ Mitstreiter Damm widerspricht: „Außer Uerdingen.“ Löbers Erwiderung: „Uerdingen ist der letzte Drecksverein.“ Der Fundus der Rundleder-Weisheiten ist damit aber längst nicht erschöpfend bedient: „Kein Mensch aus Nordrhein-Westfalen sollte Bayern-Fan sein. Nordrhein-Westfalen ist die Heimat des deutschen Fußballs. Wir haben so viele Vereine hier. Da muss kein Mensch Bayern-Fan sein. Aber Dortmund geht ja auch immer mehr in die Richtung. Dortmund ist das Bayern von Nordrhein-Westfalen.“

Die Ablenkung erfolgt durch Detlef Damm: „Was bist du denn für ein Fan?“ Generelles Fußball-Interesse und Ausführungen über die nicht eben tragende familiäre Bindung an Fortuna Düsseldorf genügen den Herren nicht. Aber dazu später mehr. Zunächst bleibt der Konsens, dass der Reiz des Rasenschachs während Corona deutlich gesunken ist. Vor leeren Rängen agierende Spieler, von denen jeder Furz im Stadion zu hören ist, haben ihr Willkommen schnell erschöpft. Und dann ist da noch das Gefühl der sozialen Ungleichheit: „Der beste Freund meiner Tochter spielt Fußball im Verein. Der sagte letztens: „Wieso darf ich am Wochenende nicht spielen, aber die Nationalmannschaft?“ Recht gute Frage“, teilt Detlef Löber.

Von diesem Punkt ist es nur ein kurzer Schritt zu Oliver Bierhoff, der unlängst das mangelnde Interesse der Deutschen an der Nationalmannschaft monierte. Die Erwiderung darauf ist die Empfehlung, doch gefälligst den DETLEF-Song „Würdet ihr bitte euer scheiß Maul halten“ zu verinnerlichen. Aber noch einmal zurück zum Video-Dreh: „Den Clip haben wir gerade noch vor dem nächsten Exitus hier in Köln auf dem Grüngürtel gedreht. Jetzt endet aber unser Glück, da wir ja gerade zum Release der Platte keine Konzerte spielen können“, gibt Detlef Meurer zu Protokoll. Eigentlich waren für Anfang Dezember drei Konzerte in Köln geplant – unter strengen Auflagen vor je 25 Zuschauern. Doch daraus wird leider nichts. Das muss sich anfühlen wie ein normaler Spieltag für die Verantwortlichen von Schalke 04.

Man muss fallen, wenn die Feste sind: Erfolg, Eskapismus und Ausklang

Was man DETLEF nicht zum Vorwurf machen kann, ist ein Mangel an Bescheidenheit. Davon kündet auch der Traum Detlef Löbers: „Glaubst du, DETLEF wird in die Charts einsteigen? Ich glaube, wir werden eine Woche auf Platz 98 sein.“ Detlef Meurer kann den Optimismus nicht teilen: „Ich glaub‘ nicht, dass das was wird. Dafür ist die Auflage vermutlich auch viel zu klein. Keine Ahnung, wie man überhaupt in die Charts kommt.“ Nicht unerheblich ist mittlerweile, so viel sei verraten, die Streaming-Frequenz. Also: Um den Traum des DETLEF-Charts-Erfolgs Realität werden zu lassen, erfolgt hiermit der Aufruf, „Supervision“ nach VÖ auf den einschlägigen Online-Musikdiensten in Dauerrotation laufen zu lassen. Dann kann zu Weihnachten immerhin auch die Oma sämtliche Texte mitschmettern.  

„Das ist auch scheißegal“, ergänzt Detlef Meurer. „Wir werden relativ gut verkaufen, glaube ich, und die Platte ist ja auch gut rezensiert worden – zu Recht. Aber an den großen kommerziellen Erfolg glaube ich nicht.“ Für Detlef Löber steht aber offenkundig mehr dahinter als der kurzfristige Ruhm: „Also ich versuche mir das dann so zu erklären, dass ich dann doch noch mal Rockstar hätte werden können. Aber wegen Corona ist mir das verwehrt worden. Damit kann ich dann einigermaßen leben.“

Woran es am meisten fehlt, da sind sich die Detlefs einig, ist der Eskapismus von Live-Shows. „Das ist wirklich scheiße. Es gibt für die Platte eine Menge Vorbestellungen und wenn wir jetzt richtig loslegen könnten… Wir haben ja alle Jobs und so weiter. Aber wir könnten jedes Wochenende irgendwo spielen“, bringt Detlef Löber die Misere auf den Punkt. Detlef Damm fügt an: „Im Sommer war das ja auch schon so. Da hätten wir fast jedes Wochenende irgendwo gespielt. Aber jetzt kommt das Album relativ gut an. Das wäre jetzt alles sehr geil zusammengewachsen. Aber das ist nun radikal weggebrochen. Die ganzen Release-Shows, die wir eigentlich geplant hatten, dieses Triumphirat an Auftritten, drei hintereinander, das war der Versuch, das alles irgendwie zu retten. So steht aktuell gar nichts mehr an Konzerten.“

Der grundlegenden Enttäuschung steht bei DETLEF aber die Zuversicht hinterher. Denn es werden in Sachen Konzerte auch wieder bessere Zeiten kommen. Nicht zuletzt, weil wir DETLEF für das im nächsten Jahr anstehende 20-jährige Bestehen von HandleMeDown bereits als Headliner für ein (bisher noch theoretisches) Konzert vereinbart haben. Wenn das mal keine Aussicht ist! Und dann ist da noch das übergeordnete Ziel des Trios, das Detlef Damm folgendermaßen formuliert: „Am Ende geht es nur um die Kinderstuben. Unser Ziel ist dabei, schon den Kindern zu vermitteln, wie DETLEF funktioniert und die alle so zu indoktrinieren, dass es irgendwann nur noch Detlefs gibt.“ Einer solchen Zukunft blickt man doch gern entgegen. 

Fehlt nur noch eine von Detlef Löber abschließend eingebrachte Forderung: „Kannst du dir mal bitte einen Fußballverein suchen, zu dem du hältst? Ein Ziel im Leben eines Mannes ist es, einen festen Verein zu haben.“ Um auch dieser existenzialistischen Aufgabe gerecht zu werden, machen wir es jetzt offiziell: Ich bin mit sofortiger Wirkung Freiburg-Fan. Sorry, Nordrhein-Westfalen.

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