Interview mit Comeback Kid (April 2007)

Obwohl sie einen Großteil des Jahres auf den Straßen und in den Hallen dieser Welt verbringen, haben die Hardcore-Helden von COMEBACK KID allen Grund zur Entspanntheit. Zumindest bei einem Blick in das bärtige Gesicht von Gitarrist Jeremy Hiebert, der Sänger Andrew Neufeld spontan beim Interview vertritt. Der hatte sich den ganzen Nachmittag den Fragen deutscher Musikschreiber am Telefon gestellt. Als am Abend, im Vorfeld des Konzertes im Berliner Magnet, sein Laptop den Dienst quittierte, war die Gesprächsbereitschaft dahin.

Jeremy übernahm den Dienst ohne Zögern. „Die Tour läuft fantastisch“, lässt er sogleich verlauten. Berlin bedeutet die letzte Station nach einer Woche in Deutschland. Im Anschluss ist England an der Reihe, im Vorprogramm von ALEXISONFIRE. Für das verbleibende Jahr stehen bislang zwei Wochen Unterbrechung im Touralltag auf dem Plan. „Als Band haben wir Fans rund um den Globus. Da gehört es einfach dazu, überall Konzerte zu spielen“. So wie im Dezember, als es erst nach Hawaii und anschließend nach Japan ging. „Ohne die Musik wäre es uns gar nicht möglich, all die Menschen und Orte kennen zu lernen“, kommentiert Jeremy und fügt an: „Wenn ich auf Tour manchmal Zeit habe zurückzuschauen und die Möglichkeiten sehe, die sich uns bieten, dann haben wir schon großes Glück.“ Das hat natürlich auch seine Schattenseiten. „You are always missing someone somewhere“, sagt er und lacht wieder. Es ist ein Lachen, dass den zeitweiligen Schmerz durch große Aussichten zu egalisieren weiß. Nach den Gastspielen in Großbritannien geht es zurück in die USA und ihre Heimat Kanada, danach mit SICK OF IT ALL weiter nach Australien. Im Spätsommer ist wieder die USA dran, im Gepäck von RISE AGAINST. Europa darf sich auf ein Wiedersehen im Herbst einrichten – wenn alles nach Plan verläuft.

Dabei ließ der Ausstieg von Sänger Scott Wade im Februar 2006 nichts gutes verheißen. „Es war während einer Tour. Einen Tag später stand Andrew am Mikro. Er hatte selbst schon mal in einer Band gesungen. Nur Zeit zum Proben blieb nicht. Insgesamt war es die vernünftigste Entscheidung. Nachträglich jemand neues in die Band zu bringen wäre einfach seltsam gewesen. Und erstaunlicherweise hat es wunderbar funktioniert.“ Die kurze Formulierung aus Musikersicht zog weitreichende Befürchtungen im Lager der Fans nach sich. „Broadcasting…“, in diesem Frühjahr veröffentlichtes drittes Album, wurde gleichsam mit Spannung und Argwohn erwartet. Letzteres zu Unrecht, denn obwohl weit düsterer geraten, haben sich COMEBACK KID nicht auf den Lorbeeren des umjubelten Vorgängers „Wake the Dead“ ausgeruht. „Ich war ein bisschen nervös, weil ich nicht wusste, welche Reaktionen zu erwarten waren“, räumt Jeremy ein und ergänzt: „Natürlich gibt es stimmliche Unterschiede, selbst wenn viele Leute mit weit größeren gerechnet hatten.“

Die Verwunderung über den großen Zuspruch spiegelt aber nicht zuletzt die Qualität der Platte wider. „Oft verändert ein Besetzungswechsel am Mikro die Dynamik einer Band. Das wollten wir natürlich nicht. Kleine Unterschiede schon, aber nicht die volle Veränderung.“ Der gewichtigste Unterschied liegt in den Texten, die vermehrt soziale Belange aufgreifen, ohne gleich ins politische abzudriften. Jeremy dazu: „Wir waren nie eine politische Band. Natürlich sind die einen an Politik interessiert, andere aber sind einfach voll auf Fernsehen hängen geblieben.“ Wieder lacht er, leitet damit aber zum Titelsong von „Broadcasting“ über. „Andrew will damit wohl zeigen, welch beängstigende Macht die Medien haben. Ein paar Leute bestimmen darüber, was Millionen von Menschen in ihren Wohnzimmern vorgesetzt bekommen. Das stimmt nachdenklich.“

Eine zweite „Wake the Dead“, so viel steht fest, haben die Kanadier nicht abgeliefert. Die Hoffnung auf Progressivität stirbt zuletzt. Auch bei Jeremy: „Ich hoffe, all die Leute da draußen nehmen sich die Zeit das Album ein paar mal zu hören, weil es unseren alten Songs näher kommt. Es braucht seine Zeit bis du drin bist.“ Wieder dieses Lachen, das allen Pessimismus von sich weist. Zumal das Konzept ein denkbar einfaches ist: Platte raus und so viel Touren wie möglich. Bei aller Befürchtung im Vorfeld der Veröffentlichung von „Broadcasting…“ ist bei COMEBACK KID also alles beim alten geblieben. Aber so mag man sie. Da ist völlig egal, wer gerade ins Mikrofon schreit.

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