Im Jahr des Drachen (USA 1985)

imjahrdesdrachen„You don´t care nothing for people. You make us all die for you.”

Mit seinem gefeierten Anti-Kriegs-Epos „The Deer Hunter“ war Michael Cimino Ende der 70er-Jahre an seinem vorzeitigen Zenit angekommen. Kritiker feierten ihn als Genie, bei den Academy Awards von 1979 wurde er mit einem Oscar als bester Regisseur geehrt. Nur ein Jahr später kam der tiefe Fall. Für sein nächstes Projekt, das vierstündige Western-Drama „Heaven´s Gate“, bekam Cimino von der Produktionsfirma United Artists einen Blankoscheck ausgestellt. Mit der Konsequenz, dass er den Budgetrahmen sprengte und einen der größten Flops der Filmgeschichte produzierte. Neben Ciminos Ruf zerstörte das finanzielle Desaster vor allem United Artists, bedeutete „Heaven´s Gate“ doch den Ruin des renommierten Studios.

Erst 1985 inszenierte das einstige Wunderkind sein nächstes Projekt, den klugen Polizeifilm „Im Jahr des Drachen“. Nach dem gleichnamigen Roman von Robert Daley schrieb Cimino das Drehbuch zusammen mit seinem umstrittenen Kollegen Oliver Stone („Platoon“, „Wall Street“). Mit dem Ergebnis, das auch dieses Werk bei Kritikern und Publikum durchfiel. Mehr noch attestierte man dem Skript Intoleranz und Rassismus gegenüber dem asiatischstämmigen Bevölkerungsteil der Vereinigten Staaten. Dabei ist „Im Jahr des Drachen“ kein rassistischer Film, sondern ein Film über Rassismus. Denn Cimino zeigt Amerika – wie bereits in „Heaven´s Gate“ – nicht als das gelobte Land, den Vielvölkergarten Eden, sondern demontiert den Mythos als einen Schmelztiegel forcierter Anpassung.

Als sich im New Yorker Bezirk Chinatown Morde junger Chinesen häufen, glaubt die Polizei zunächst an Übergriffe gewalttätiger Jugendbanden. Der hochdekorierte Captain Stanley White (Mickey Rourke, „Barfly“) wird nach Chinatown versetzt, um der Situation des Bandenwesens Herr zu werden. White ist ein kompromissloser, bei den Kollegen wenig beliebter Einzelgänger, der seit seinen Erfahrungen im Vietnamkrieg einen tief verwurzelten Groll gegen Asiaten hegt. Schnell enttarnt White den machtstrebenden Triadenboss Joey Tai (John Lone, „Der letzte Kaiser“) als Drahtzieher der Unruhen. Denn Tai, der die Kontrolle über die Jugendgangs inne hat, will den Alten die Macht über Chinatown mit allen Mitteln entreißen. So startet White einen gnadenlosen Feldzug, geführt mit unerbittlicher Härte. Dabei legt er nicht nur das Gesetz in die eigenen Hände, sondern geht ohne Rücksicht auch über die Leichen von Freunden und geliebten Menschen.

„Im Jahr des Drachen“ ist harter Kriminalfilm und faszinierende Charakterstudie zugleich. Michael Cimino verzichtet auf eine schlichte Polarisierung zwischen gut und böse und stellt dem aufrechten Rassisten White den verbrecherischen Wohltäter Tai gegenüber. Beide sind Sklaven strenger Prinzipien und bereit für die Verwirklichung ihrer Ziele zu brutalsten Mitteln zu greifen. Um gegen seinen Kontrahenten mobil zu machen lässt sich White auf eine Affäre mit der Journalistin Tracy Tzu (Ariane Koizumi, „Skin Art“) ein und setzt damit seine Ehe aufs Spiel. Der unerbittliche Machtkampf gipfelt in der grausamen Ermordung seiner Frau Connie (Caroline Kava, „Geboren am 4. Juli“). Doch auch das bringt White nicht von seinem Vorhaben ab, Joey Tai als Paten von Chinatown zu stürzen.

Mickey Rourke besticht durch eine der stärksten Leistungen seiner gesamten Karriere. Glänzend kehrt der heute 48-jährige in emotional hervorragend gespielten Szenen das Innere seiner zerrütteten Figur nach außen. Dem entgegen strebt der von Vorurteilen zerfressene Kriegsveteran, der seinen Feinden ohne Skrupel auf die Füße tritt und auch vor dem ausgiebigen Gebrauch der Dienstwaffe nicht zurückschreckt. In einer von Rourkes intensivsten Szenen offenbart sich der fragile Charakter des Stanley White, wenn es heißt: „I´d like to be a nice man. I would. I just don´t know how to be nice.” Als er Joey Tai im Zuge der finalen Konfrontation schließlich niederstreckt, gestattet White dem Verwundeten Erzfeind den ehrenhaften Freitod vor dem Eintreffen der anrückenden Polizei.

Ein Manko lässt sich in der ebenbürtigen Charakterzeichnung der erbitterten Kontrahenten Rourke und Lone erkennen, die spätestens mit der ausgiebigen Asienreise des Triaden Längen impliziert. Allerdings bleibt dies auch Ciminos Obsession zu schulden, die Figuren in all ihren Facetten durchleuchten zu wollen. Dabei wird die kühle Atmosphäre der nüchternen Erzählstruktur nur in einigen Schlüsselszenen von Emotionalität schaffender Intensität durchbrochen. Trotz kleinerer Schwächen ist „Im Jahr des Drachen“ ein packender, exquisit besetzter Thriller. Gebettet in erlesene Bildkompositionen fesselt das brutale Kriminaldrama auf all seinen Ebenen und lässt die epochale Handschrift des Michael Cimino, der sich Mitte der Neunziger aus dem Filmgeschäft zurückzog, in Zeiten optischer Reizüberflutung schmerzlich vermissen.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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