Herr Lehmann (D 2003)

herr-lehmannHerr Lehmann (Christian Ulmen) lebt im Berlin des Herbstes 1989. Von allen wird er nur „Herr Lehmann“ genannt, jedoch duzen ihn seine zahlreichen Freunde und Weggefährten, von denen er als Barkeeper in einer Kreuzberger Kneipe einige hat, meist im gleichen Satz. Duzen und Siezen in einem Atemzug passt nach seiner Auffassung allerdings nicht im selben Satz. Sein Umfeld versteht das nicht und so entwickelte sich diese Eigenart im Laufe der Zeit zum Selbstläufer. Doch das ist nicht das einzige Problem in Lehmanns Leben. Im Grunde hat der 29-jährige noch rein gar nichts erreicht. Seine heimischen vier Wände sind nicht gerade das Ritz und sein Job lässt auch keine großen Sprünge zu.

Seinen Eltern erzählt Lehmann, er wäre Geschäftsführer in einem Restaurant und zu allem Überfluss hat er sich auch noch in die Köchin Kathrin (Katja Danowski) verliebt, die in seiner bevorzugten Kneipe arbeitet. Diese beachtet Lehmann jedoch kaum, vielmehr diskutiert und streitet sie mit ihm, ob denn morgens um elf schon ein Schweinesteak gegessen werden darf oder den Unterschied zwischen Liebe und Verliebtsein. Lehmanns bester Kumpel Karl (Detlev Buck) sorgt letztendlich aber doch dafür, dass die beiden zusammenfinden, steckt aber selbst in einer mittelschweren Krise. Denn bald hat der Aushilfs-Barkeeper und Künstler eine Ausstellung, vor der es jedoch erst einmal gilt, die anhängende Depression zu bekämpfen.

Richtig happig wird es jedoch, als Lehmanns Eltern ankündigen, ihren Sprössling zu besuchen und ihn Bitten, seiner Großmutter im Osten 500 Deutsche Mark zu überbringen. Am gleichen Tag erfährt er durch Zufall, dass ihn Kathrin gar nicht liebt. Zudem wird er 30 Jahre alt und dann fällt auch noch die Berliner Mauer. All das basiert auf den schriftlichen Ergüssen von Element of Crime-Frontmann Sven Regener, der mit seinem erfolgreichen Buch Kritiker wie Leser überzeugen konnte. Anti-Held Herr Lehmann wird vom ehemaligen MTV-Moderator Christian Ulmen mehr als ordentlich verkörpert. Der ist eher als Spaßvogel bekannt, doch in seiner ersten Hauptrolle beweist er eindeutig, dass man ihn nicht nur darauf reduzieren darf.

Eindrucksvoll stellt er alle Eigenschaften des Herrn Lehmann dar, sei es nun in eher melancholischen Momenten oder in Szenen, in denen er frei von der Leber weg philosophieren darf. Ob das nun für den Betrachter einen Sinn ergibt oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Die Figur hat eigentlich nichts Großes zu bieten, doch beinhaltet sie gerade deshalb gesteigertes Identifikationspotenzial. Detlev Buck („Sonnenallee“) spielt wie so häufig den netten Kumpel von nebenan, mit dem man über alles und jeden quatschen kann und den man zu einem kalten Bier nicht lange überreden muss. Wie übrigens alle Figuren funktionieren er und Lehmann jedoch nicht alleine, sondern nur in Verbindung mit dem regen Kneipenleben von Kreuzberg.

In schönen Bildern, die den Film wohl alleine deswegen zu einer absoluten Pflichtveranstaltung für alle Einheimischen machen, zeigt Regisseur Leander Haussmann („Sonnenallee“) seine Protagonisten von Kneipe zu Kneipe ziehen, Geschichten erzählen und erleben. Dabei vergeht die Zeit des Films nicht allzu schnell, doch das Gesehene weiß mit vielen kleinen Einfällen (etwa plötzliche Verkleidungen in „Star Wars“-Manier während einer Vorstellung der Filme) anständig zu unterhalten und gerade die Hitzigkeiten zwischen Lehmann und Freundin Kathrin gehören zu den Highlights. Doch bleibt auch eines ohne Frage auf der Strecke, nämlich das, was hinlänglich unter dem Begriff „Handlung“ zusammengefasst wird.

Eine solche ist eigentlich nicht vorhanden und erzählt werden mehr einzelne kleine Handlungsfetzen denn eine zusammenhängende Story. Diese einzelnen Sequenzen wissen jedoch bis auf wenige Ausnahmen zu gefallen und vor allem zu unterhalten. Dazu trägt eben eine sehr gemischte wie munter aufspielende Darstellerriege – darunter Christoph Waltz und Michael Gwisdek – als auch die grandiosen Kulissen des Kreuzberger Nachtlebens bei, die „Herr Lehmann“ zu einem tragisch amüsanten Ausflug machen.

Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

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