Hanau (D 2022)

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Bezogen auf Uwe Bolls „Hanau“ muss angefügt werden: wieder einmal. Neben miserablen Verfilmungen populärer Videospiele hat sich der bisweilen als schlechtester Regisseur aller Zeiten verunglimpfte Filmemacher mit Kleinproduktionen einen Namen gemacht, die auf realen Gräueln fußen. Bei „Siegburg“ und „Darfur“ (beide 2009) offenbarte er Qualitäten als Chronist des Grauens, die bei „Auschwitz“ (2011) u. a. am Bestreben scheiterten, den medialen Bildungsauftrag zu erfüllen. Ähnlich verhält es sich mit „Hanau“, der Aufarbeitung des rassistisch motivierten Amoklaufs, bei dem der 43-jährige Tobias R. am 19. Februar 2020 elf Menschen tötete – einschließlich seiner Mutter und sich selbst.

Bereits das fremdenfeindliche Motiv des Täters sorgt dafür, dass die Namen der Opfer nie vergessen werden dürfen:

Gökhan Gültekin

Sedat Gürbüz

Said Nesar Hashemi

Mercedes Kierpacz

Hamza Kurtović

Vili Viorel Păun

Fatih Saraçoğlu

Ferhat Unvar

Kaloyan Velkov    

Gegen Bolls Pläne, den Terrorakt zum Thema seines Comeback-Werks (der Subtitel „Deutschland im Winter“ soll als Klammer einer Trilogie dienen) zu machen, formierte sich seit Bekanntgabe erheblicher Widerstand seitens Angehöriger der Opfer und der Stadt Hanau. Ein offener Dialog, gerade mit Blick auf Bolls Intention, hätte möglicherweise konstruktive Auswirkungen gehabt. Am Ende hielt der unabhängige Filmemacher an seiner Vorstellung fest, die er explizit als seine Interpretation der Ereignisse bezeichnet. Gestützt wird diese vom einleitenden Verweis darauf, dass die meisten der vom Täter – theatralisch verkörpert von Co-Autor und Boll-Regularie Steffen Mennekes – gesprochenen Worte tatsächlich von R. stammen. Als Quellen dienten Social-Media-Beiträge und das von ihm verfasste Manifest.

An R.s Gesinnung lässt Boll keinen Zweifel, bezeichnet ihn gar als ersten „QAnon Mass Murderer“. Das sollen auch die anfänglich gezeigten Nachrichtenausschnitte unterstreichen. Ihnen folgt R., der grinsend auf seinem Bett liegt und eine Pistole gegen sich selbst richtet. In der Hauptsache bleibt der Film bei ihm: eine Videobotschaft in VHS-Qualität, lautes Verlesen seines Pamphlets samt Änderungsvornahme, die Rasur vor dem Blutbad. R.s Ideologie kündet von einem Mann im Wahn, der von einer Weltverschwörung überzeugt ist und an die Fernsteuerung von Menschen durch Geheimdienste glaubt. Abseits der bloßen Zitation des wirren Gedankenguts bleiben entscheidende Faktoren jedoch ausgeklammert.    

Denn das Porträt eines psychisch zutiefst gestörten Mörders genügt nicht, um den Film zu tragen. Wo ist etwa das Versagen der Behörden, die R. trotz psychischer Auffälligkeiten den legalen Besitz von Waffen gestatteten? Wo bleibt die Darstellung des Vaters, der als maßgebliche Stütze der Ideologie seines Sohnes gilt? Boll begnügt sich mit Andeutungen. Auch die Frage, wie sich R. radikalisierte und wie er in den Kaninchenbau von Verschwörungsmythen und rechtsextremer Agitation geriet, scheint für diese Interpretation irrelevant. Stattdessen zeigt Boll in Manier seiner „Rampage“-Trilogie, wie R. seine Opfer (darunter „Momo“-Darstellerin Radost Bokel) an verschiedenen Orten kaltblütig ermordet. Bei der Visualisierung der exploitativen Eskalation half Splatter-Spezi Olaf Ittenbach („Beyond the Limits“).

Es sind gerade diese Szenen, die Bolls Ambition zunichtemachen, da sie exakt die Sensationsgier reflektieren, die ihm im Vorfeld zum Vorwurf gemacht wurde. Fast scheint es, als unterwerfe er sich dem Zwang, Mennekes‘ ermüdenden Dauer-Monologen gewaltvoyeuristische Kontrastpunkte gegenüberstellen zu müssen. Um die Nacherzählung abzuschließen, folgt nach der Mordserie ein spekulatives Zwiegespräch zwischen R. und seiner Mutter (Hiltrud Hauschke), das in den Tod der beiden mündet. Da „Hanau“ zu diesem Zeitpunkt aber erst an der Marke von einer Stunde kratzt, folgen vor Bolls abschließendem Tatort-Tourismus scheinbar wahllos verknüpfte Aufnahmen von Geflüchteten, rechtspopulistischen Politikern oder dem Sturm auf das US-Kapitol. Hier platziert Boll tatsächlich eine Botschaft: Geschichte darf sich auch in einer zunehmend aus den Fugen geratenen Welt nicht wiederholen. Nur ist die Boll’sche Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ungeachtet der klaren politischen Positionierung viel zu groß. Wieder einmal.  

Wertung: 3.5 out of 10 stars (3,5 / 10) 

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