
Nach Jahren des Erfolgs wurde es in den mittleren 1990ern ruhiger um GUNS N‘ ROSES. Den überschaubar euphorischen Reaktionen auf das Cover-Album „The Spaghetti Incident?“ (1993) folgten bandinterne Zerwürfnisse, die bis 1997 zum Ausstieg von Gitarrist Slash und Bassist Duff McKagan sowie dem Rausschmiss von Drummer Matt Sorum führten. Übrig blieb Sänger Axl Rose, der die Maschine mit einer fluktuierenden Ersatzmannschaft am Laufen hielt, vereinzelt Konzerte spielte und vom alten Ruhm zehrte. Die Arbeiten am Nachfolger zu „The Spaghetti Incident?“ begannen, als die Band noch in alter personeller Garnitur unterwegs war. Veröffentlicht wurde „Chinese Democracy“ aber erst 2008. Bis dahin hatten sich die Produktionskosten auf geschätzte 13 Millionen US-Dollar hochgeschraubt. Es war das bis dahin teuerste Album der Rock-Historie.
Gelohnt hat sich der (finanzielle) Aufwand trotzdem. Die Platte verkaufte sich weltweit mehr als zwei Millionen Mal und erntete neun Gold- (u. a. in Deutschland) und zehn Platin-Auszeichnungen (u. a. in den USA). Die Fans schienen hungrig, denn eigene neue Musik von GUNS N‘ ROSES hatte es seit dem „Use Your Illusion“-Doppelschlag (1991) nicht mehr gegeben. Die Verkaufszahlen täuschen dabei aber nicht darüber hinweg, dass „Chinese Democracy“ eine höchst durchwachsene Angelegenheit bildet, die Fans der „Appetite for Destruction“-Ära nahezu unmöglich zufriedenstellen konnte. Und kann. Von Kritikerseite mehrten sich Verrisse. Ob zurecht, muss individuell ermessen werden. Fakt ist jedoch, dass Rose die etablierte Marke (s)eines Hard-Rock-Klassikers benutzte, um soundtechnisch zu experimentieren. Das gefällt fraglos nicht allen.
Dabei wäre es unfair, „Chinese Democracy“ gelungene Aspekte absprechen zu wollen. Zu ihnen zählen der souveräne, durch starke Gitarrenarbeit unterfütterte rockige Vibe von Stücken wie „Better“, „Riad N‘ the Bedouins“ oder dem eröffnenden Titeltrack. Nur resultiert aus punktierten Höhen kein überzeugendes Gesamtwerk. Überhaupt wirkt die Scheibe gnadenlos überproduziert – und kaschiert im allgegenwärtigen Bombast nur schwerlich, dass die meisten der 14 Nummern schnell vergessen sind. Dafür pumpen mitunter ausgenudelte Beats und Nu-Metal-Anleihen (siehe das mit nettem Refrain versehene „Shackler’s Revenge“ oder „Scraped“) aus den Lautsprechern. Damit nicht genug, wirken die neu formierten Rock-Veteranen am Rande, als wollten sie sich als Interpreten des nächsten James-Bond-Titelstücks bewerben (siehe „If the World“).
Genau da zeigt sich das größte Problem: „Chinese Democracy“ klingt in Summe einfach nicht nach GUNS N‘ ROSES. Bisweilen versucht Rose stimmlich (buchstäblich) neue Höhen zu erklimmen. Das mutet aber nicht allein beim soliden „Street of Dreams“ oder „There Was a Time“ eher wie eine gegen den Fellstrich gebürstete Katze an. Die vielen Weiterentwicklungsbestrebungen erscheinen schlicht zu gewollt und führen eigentlich nie zu kernigem Rock, bei dem man Lust verspürt, sich gehen zu lassen. Pompös gescheitert nennt man das wohl. Dass sich Rose mit Slash und McKagan mittlerweile wieder zusammengerauft hat und seit 2016 wieder als (fast) ursprüngliches Kollektiv das eigene Vermächtnis verwaltet, passt da sehr deutlich ins Gesamtbild.
Wertung: (5 / 10)