Früher war das Leben komplizierter. Ohne YouTube, wo mittlerweile schier jeder Live-Event mit der Handykamera für die Nachwelt festgehalten wird, schien es in vergangenen Tagen deutlich schwerer, an vor Publikum mitgeschnittenes (Sound-)Material zu gelangen. Und dann auch noch Größe und Gewicht der Aufzeichnungsgeräte. Doch hielt all das die Bootlegger des Planeten nicht davon ab, Konzerte populärer Künstler*innen mitzuschneiden. Die oftmalige Bescheidenheit der Qualität bescherte der Beliebtheit solch inoffizieller (man könnte auch sagen: illegaler) Veröffentlichungen keinen Abbruch.
Im Falle von GREEN DAY bildeten Bootlegs lange Zeit die einzige Möglichkeit, Konzerte auf Konserve zu erleben (das erste offizielle Live-Album erschien mit „Bullet in a Bible“ erst 2005). Entsprechend geht die Zahl der Bootlegs mit Ohrenzeugenaufnahmen in die Dutzenden. Gleich mehrere davon stützen sich auf den legendären Auftritt von GREEN DAY bei der Woodstock-Neuauflage 1994. Eine davon, recht simpel „Green“ betitelt, trägt den semiprofessionellen Charakter bereits auf dem Cover zur Schau, wo die Band als GREENDAY ausgewiesen wird. Wenn schon eine Live-Platte ohne Erlaubnis herausbringen, dann wenigstens außer Konkurrenz falsch!
Die zehn Stücke der Woodstock-Schlammschlacht, die GREEN DAY in den USA einen gehörigen Popularitätsschub bescherte, sind ungeachtet der im Hintergrund mitschwingenden Unterhaltungen von solider Audioqualität. Dass Reprise Records den kompletten Auftritt 2019, ein Vierteljahrhundert nach dem Großereignis, doch noch auf Vinyl veröffentlichte, entzieht den Bootlegs nachhaltig ihre Berechtigung. Auf die einzelnen Songs soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden, sondern eher auf ihre Präsentation. So beginnt der Auftakt „Welcome to Paradise“ mitten im Song. Die Publikumsinteraktionen und -beleidigungen, die reichhaltig zum Spaßgehalt des Auftritts beitragen, wurden – mutmaßlich aus Gründen der Dynamik – nahezu vollständig herausgeschnitten.
Neben dem Woodstock-Block, von dem insgesamt acht Tracks präsentiert werden, beinhaltet „Green“ – das identische Paket wurde auch unter den Titeln „Basket Case – Live Woodstock ’94“ (1994) und „Live at Woodstock“ (1995) zugänglich gemacht – zehn weitere Live-Aufnahmen unbekannter Herkunft. „Paper Lanterns“, das große Finale bei Woodstock, während dem sich Billie Joe Armstrong einen Matsch-Schlagabtausch mit dem Publikum lieferte, stammt im vorliegenden Falle aus anderer Quelle. Dabei schalten GREEN DAY u. a. auf Metal und covern den SURVIVOR-Evergreen „Eye of the Tiger“.
Daneben wird das Repertoire um das OPERATION IVY-Cover „Knowledge“, das zünftig abgefeierte „Dominated Love Slave“, „One of My Lies“ und „Road to Acceptance“ (durch Ansagen über gemeinsame Konzerte mit NOFX und BAD RELIGION sowie die Beleidigung eines Fans auf sechseinhalb Minuten ausgewalzt) ergänzt. Aufgenommen scheinen die Songs noch vor „Dookie“ (1994) irgendwo in Kalifornien. Der Klang erscheint dabei weit entfernt und überdies hallend, wobei Publikumsgespräche auch hier das Vergnügen trüben. Der Rest, „Only of You“, „Chump“ (angekündigt als Song vom „neuen Album“), „Longview“, „Burnout“ und „2,000 Light Years Away“, erweist sich soundtechnisch als noch schwächer. So bleibt als einsames Highlight Armstrongs referenzielle Zwischenansage „You take a Dookie and it Kerplunks in the toilet.“ Damit genügt dies Bootleg immerhin als Dokument einer Zeit, in der GREEN DAY der große Durchbruch noch bevorstand. Mehr aber auch nicht.
Wertung: (3,5 / 10)