In unseren Breitengraden erscheinen die Werke des eigenwilligen japanischen Filmemachers Takashi Miike bedauerlicherweise nur spärlich und deutlich zeitverzögert. Wie kaum ein anderer Regisseur überschreitet Miike inbrünstig Grenzen und bricht Tabus. Seien es individualistische, meist mit geringem Budget inszenierte Werke wie „Audition“, „Visitor Q“ oder die heftigen Gangsterstreifen „Dead or Alive“ und „Ichi the Killer“, stets hält er dem Publikum den schonungslosen und oftmals grotesken Spiegel einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft vor. Und gäbe es nicht den hiesigen Vertreiber Rapid Eye Movies, eine Vielzahl herausragender asiatischer Kleinode (u.a. die „Okami“-Reihe) würde wohl niemals in derart angemessener Form und vor allem unzensiert das Licht der deutschen Öffentlichkeit erblicken. So auch „Graveyard of Honor“, Miikes Neuauflage von Kinji Fukasakus klassischem Gangsterdrama gleichen Titels aus dem Jahre 1975.
Als ein namenloser Yakuza-Killer (Takashi Miike in einem Cameoauftritt) ein Blutbad in einem Restaurant anrichtet, streckt diesen kurzerhand der Tellerwäscher Rikuo Ishimatsu (Goro Kishitani) nieder und rettet somit einem einflussreichen Clanchef (Shingo Yamashiro) das Leben. Aus Dankbarkeit wird Ishimatsu in die Kreise des organisierten Verbrechens eingeführt und erfährt schon bald einen kometenhaften Aufstieg in der Hierarchie der Yakuza. Doch der nicht minder steile Abstieg des hitzköpfigen wie kaltblütigen Verbrechers folgt beinahe auf dem Fuße. Denn der eigensinnige Ishimatsu agiert ohne Skrupel oder einen Anflug von Reue. Auch hinterfragt oder rechtfertigt er seine mitunter extremen Gewaltausbrüche nicht. Als sich der ruchlose Yakuza von seinem eigenen Förderer hintergangen fühlt, prügelt er erst den Boss eines gleichgesinnten Hauses fast zu Tode und richtet im Anschluss gar die Waffe gegen das eigene Clanoberhaupt. Sein Todesurteil selbst besiegelt, reißt Ishimatsu auf dem Weg ins Verderben Freund und Feind gleichermaßen mit in den Abgrund.
Kühl inszeniert und von episodenhaftem, beinahe fragmentarischem Charakter durchzogen, spinnt Takashi Miike ein eindringliches Portrait eines Mannes ohne Moral. Das spielt im Gegensatz zum Original nicht in den Wirren der Nachkriegszeit, sondern vielmehr im Wechsel der ausgehenden 80er in die 90er-Jahre und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Niedergang Japans. Dieser Umstand allein hebt Miikes Neuverfilmung bereits weit über den Standard üblicher Remakes hinaus, während sich eine offenkundige unbequemlichkeit des Werkes hinzugesellt, die eine in Bewegungsabläufen stets verwackelte Kamera als ständigen passiven Begleiter des todgeweihten Yakuza ins Handlungsgefüge einbettet und die passagenweise aufkeimenden Ruhephasen durch teils sehr drastische Gewaltausbrüche erstickt. Somit wird der Betrachter nicht nur unmittelbar ins Geschehen involviert, sondern gleichermaßen auch ein Teil des Strudels aus harschen Brutalitäten, nüchtern aufgezeigte Begleiterscheinung des gesamten Yakuzaalltags.
Der unaufhaltsame Abstieg Ishimatsus, dessen Ende bereits zu Beginn vorweggenommen wird, erhält die nötige Distanz, so dass sich „Graveyard of Honor“ als bitterer Abgesang auf verklärte Gangsterromantik präsentiert. Nur beiläufig führt der Pfad des gefallenen Kriminellen in die Heroinsucht, in dessen Sog Rikuo selbst seine Frau hineinzieht. Hintergründige Handlungsstränge wie dieser werden von Takashi Miike als kleine Tragödien am Rande geschickt mit dem Torso der Geschichte verwoben und fusionieren zu einer packenden, wenngleich auch schwer verdaulichen Charakterstudie eines Mannes, dessen wachsende Probleme sich durch die zwecks Lösung selbiger entgegengestellte Gewalt einzig vergrößern. Die im freien Fall befindliche Figur des Rikuo Ishimatsu findet seine perfekte Verkörperung in der darstellerischen Finesse des großartigen Goro Kishitani („Returner“), der in seiner stoischen Ausdruckslosigkeit beinahe wie eine jüngere Ausgabe von Takeshi Kitano anmutet. Doch auch Nebendarsteller wie Shingo Yamashiro („Okami – Der weiße Pfad der Hölle“) oder Renji Ishibashi („Audition“) wissen auf ganzer Linie zu überzeugen.
Takashi Miikes „Graveyard of Honor“ steht explemparisch für die herausragende Arbeit des innovativen Regisseures, der hier auf 130 Minuten einmal mehr seine enorme Schaffenskraft unter Beweis stellt. Trotz extremer Bilder, erneut eindrucksvoll eingefangen von Hideo Yamamoto („Hana-Bi“), reiht sich Miikes erneuter Ausflug in die finstere Welt der Yakuza aufgrund seiner überwiegend ruhigeren Gangart in der bitteren Tradition des „Beat“ Takeshi und dem Verzicht auf groteske Gewaltakte der Güteklasse „Dead or Alive“ oder „Ichi the Killer“ jedoch eher in die Tradition des schockierenden „Audition“ ein. Mit selbigem hat die erneute Aufarbeitung des Romanes aus der Feder des ehemaligen Yakuzas Goro Fujita im übrigen auch den äußerst spärlichen Gebrauch eher teilnahmsloser Begleitklänge gemein. Für Genre-Fans, untertitelter Originalfassung zum Trotze, absolutes Pflichtprogramm!
Wertung: (8 / 10)