Casey ist der bessere Affleck. „Gone Baby Gone“ beweist das. Dies jedoch gilt nur für den Bereich vor der Kamera. Denn das herausragende Thriller-Drama ist zugleich der erste Langfilm seines älteren, populäreren und gern gescholtenen Bruders Ben als Regisseur. Der erzählt, nachdem er sich mit seiner Performance in „Hollywoodland“ als Schauspieler rehabilitieren konnte, eine verzwickte Entführungsgeschichte, die der starken Besetzung in weiten Teilen Glanzleistungen abverlangt. Überraschenderweise trifft das auch auf Hauptdarsteller Casey Affleck („Oceans 13“) zu, der mit Stars wie Ed Harris („Pollock“) und Morgan Freeman („Million Dollar Baby“) durchaus mithalten kann.
Der Auftakt aber gehört John Tolls („Der schmale Grat“) direkter Kameraführung, die sich durch ein tristes Bostoner Wohnviertel arbeitet. Das soziale Milieu wird mit großer Sorgfalt und noch größerer Authentizität nachgezeichnet, aus Fettleibigkeit und alltäglicher Unattraktivität speist sich ein willkommener Gegenentwurf zu Hollywoods Glitzerwelt. Für einen Augenblick wendet sich die volle (mediale) Aufmerksamkeit diesem verschworenen Mikrokosmos zu. Ein kleines Mädchen, die Tochter der drogenabhängigen Helene (Amy Ryan, „Capote“), ist verschwunden.
Zusätzlich zu den Ermittlungen der Polizei, an deren Spitze Captain Doyle (Morgan Freeman) steht, werden die jungen Privatdetektive Patrick Kenzie (Casey Affleck) und Angie Gennaro (Michelle Monaghan, „Kiss Kiss Bang Bang“) mit dem Fall betraut. Obwohl Doyle wenig erfreut über die Unterstützung ist, muss er das Zutun des Paares tolerieren, es mehr noch unterstützen. Als Kontaktmänner fungieren die Veteranen Remy Bressant (famos: Ed Harris) und Nick Poole (John Ashton, „Midnight Run“). Durch Kenzies Kontakte in der Nachbarschaft wird bald eine Spur aufgenommen, nach der Helene Drogengelder unterschlagen hat und ihr Kind als Druckmittel vom geneppten Dealer entführt wurde.
Die narrativen Parallelen zu „Mystic River“ sind nicht von der Hand zu weisen. Sie ergeben sich aus der Beteiligung von Autor Dennis Lehane, der mit Ben Affleck das Drehbuch zu „Gone Baby Gone“ schrieb und auf dessen Romanen beide Filme basieren. Beim einen wie beim anderen stehen Entscheidungen im Vordergrund, die einerseits richtig und doch wieder falsch erscheinen. Regisseur Affleck spielt geschickt mit den Emotionen des Zuschauers und führt anhand cleverer Wendungen die Schwierigkeit simpler moralischer Wertvorstellungen vor Augen. Die Grenzen zwischen Recht und Unrecht verwischen, Gerechtigkeit wird zur Auslegungssache.
Die nur vordergründig mit Krimi-Anstrich versehene Geschichte läuft nicht auf einen finalen Twist mit Aha-Erlebnis hinaus, sondern konzentriert sich voll auf die Gewissenskonflikte der Hauptfigur. Der Spannungsbogen mag bisweilen darunter leiden, wenn es dem detailreichen Drama auch nicht um die Erfüllung konventioneller Klischees geht. Am Ende, als sich die richtige Entscheidung möglicherweise doch als falsch entpuppt, entlässt der kluge Film sein Publikum mit einer Schlusssequenz, die bedrückendes Schweigen – und eine ebensolche Schwere – mit sich bringt. Übrig bleiben nur Zweifel. Sie garantieren auf wie vor der Leinwand eine nachhaltige Wirkung.
Wertung: (8 / 10)