Müssen Filme aus großen und kleinen sozialen Brennpunkten zwingend politisch sein? Und muss die einseitige Romanze eines Wachmanns und einer Putzfrau unbedingt eine Bestandsaufnahme zur Lage von Nation, Überwachungsstaat und Arbeitsmarkt beinhalten? Adrián Biniez beantwortet diese Frage in „Gigante“ mit einem eindeutigen Nein. Sein Film spielt in Uruguay, genauer in der Hauptstadt Montevideo, wo viele Menschen auf schlecht bezahlte und unsichere Jobs angewiesen sind, um ihr Leben bestreiten zu können. Doch solche Facetten bedient der Regisseur lediglich auf subtiler Ebene.
Hauptfigur Jara (Horacio Camandule), ein beleibter Hüne mit flaumigem Schnurbart, bringt seine Nächte vor den Überwachungsmonitoren eines riesigen Supermarktes zu. Die verwaisten Gänge werden um diese Zeit nur noch von Putzfrauen bevölkert, die stoisch ihre Arbeit verrichten und gern mal Waren einstecken. Am Wochenende verdingt sich der Koloss zudem als Türsteher eines Heavy Metal-Clubs. Seine Tage bestehen aus Routinen, die Freizeit bringt er mit dem Neffen vor der Playstation zu. Bis er sich, anfangs aus Neugier, für Putzfrau Julia (Leonor Svarcas) zu interessieren beginnt.
Sie ist Teil des Reinigungstrupps, der allabendlich die Böden des Supermarktes schrubbt. Aus sicherer Entfernung, der kleinen Überwachungszentrale mit den umschaltbaren Monitoren, beobachtet er sie. Erst nachts, während der Arbeit, später auch am Tage. Nach Dienstschluss folgt er ihr durch die Stadt und beginnt sie aus der Distanz kennen zu lernen. Er folgt ihr ins Internetcafe, ins Kino und selbst zu einem Blind Date. Jara wird zum Stalker, doch bleiben seine Absichten unschuldig. Er ist einfach zu schüchtern, die Sicherheit der Entfernung aufzugeben und Julia anzusprechen.
Das einzig laute in diesem fast unauffällig leisen Szenario sind die Metal-Riffs, die Julias schüchternem Romeo auf die Ohren dröhnen. Trotz der Weitläufigkeit des urbanen Raumes bleiben die Bildausschnitte eng gefasst. Heraus sticht der Strand, an dem Jara, als beide ihren Job verloren haben, endlich den Mut findet, seine Herzensdame anzusprechen. Die Antiklimax bewegt, bleibt aber so intim, dass Biniez dem Publikum verweigert, dem Gespräch zu lauschen. „Gigante“, bei der Berlinale 2009 mit dem Silbernen Bären prämiert, ist so langsam und behäbig wie seine Hauptfigur. Das mag nicht jedem gefallen. Doch ist diese herzensgute Außenseitergeschichte sowieso ein Fall fürs Programmkino.
Wertung: (7,5 / 10)