Ernte 77 – Zurückbleiben, bitte (2022, DIY)

Der Deutsch-Punk-Triebwagen von ERNTE 77 ist wieder unterwegs. Da ist das Gebot durchaus angemessen: „Zurückbleiben, bitte“. Gepasst hätte er auch zum letzten Langspieler der Kölner, „Kippekausen“, dessen Artwork kauzig benannte Provinz-Bahnhöfe aufreihte. Als die Platte Ende 2019 erschien, war die Welt noch in Ordnung. Oder zumindest: weniger am Arsch. Dann kam Corona und brachte das kulturelle Leben zum Erliegen. So wurde es vermeintlich still; natürlich mit Ausnahme der Isolations-Klatschsalven vom Balkon für Pflegekräfte. Aber wie so viele andere nutzten auch die Domstädter die Zeit für die Arbeit an neuem Material. Das Ergebnis sind die unter „Zurückbleiben, bitte“ subsummierten fünf Songs. Oder, wie es ERNTE 77 selbst zusammenfassen: „Eine kleine digitale EP für zwischendurch.“ 

Die zeigt das Gespann in Experimentierlaune; sowohl musikalisch als auch bezogen auf die vermittelten Stimmungsbilder. So betont nicht allein der Auftakt „Herr Breitseite (Ich komm‘ nicht klar)“ – mit Einstiegsreminiszenz Richtung DIE ÄRZTE – die melancholische Seite, der das folgende „Rausgehen und dranmontieren“ gepflegtes Tempobewusstsein beimengt. Mit „Größere Probleme“ stoßen ERNTE 77 in elektronische Gefilde vor; und erinnern unweigerlich an KOMMANDO ZURUECK. Die Texte sind gewohnt kritisch. Und spöttisch. Dafür stehen auch das lässig wandlungsreiche „Niehler Wolken“, ehe das ebenfalls verhaltene, fast balladeske „Julimond“ die EP beschließt. Gemessen am überraschend gedrosselten Drehzahlbereich bleibt zum Zurückbleiben immerhin ausreichend Zeit. Nach den (ersten) Corona-Jahren erscheint es aber auch nicht weiter verwunderlich, dass die gedrückten Stimmungsregungen erst einmal aus dem System gespielt (und gespült) werden wollen. Für Zwischendurch ein gelungener Appetithappen.      

Wertung: 6.5 out of 10 stars (6,5 / 10)

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