„It’s a hell of a thing killing a man. You take away all he’s got and all he’s ever gonna have.“ – Geläuterter Experte der gewaltsamen Lebensverkürzung: William Munny
In Clint Eastwoods grandiosem Abgesang „Erbarmungslos“ hat der Western keinen Glanz und kein Heldentum mehr. In ihrer 16. Regiearbeit räumt die einstige Ikone des Macho-Kinos endgültig mit den Klischees und Mythen vom aufrechten Revolvermann auf – und rechnet obendrein auf brillante und zugleich bittere Weise mit dem Image ab, das ihn unter (den im Abspann gewürdigten) Sergio Leone und Don Siegel in den Sechzigern und Siebzigern zum Star machte. Rund zwei Dekaden kursierte die Idee in Hollywood, ehe sich Eastwood die Rechte sicherte. Doch er ließ sich Zeit, um in die Rolle jenes von Alter und Lebenswandel gezeichneten Antihelden William Munny hineinzureifen.
Eigentlich leben Männer seines Schlages nicht lange genug, um im Alter auf kargem Grund kranke Schweine in einen Pferch zu treiben. Doch Munny wurde durch seine verstorbene Frau von Alkoholsucht und Mordlust geheilt. So bewirtschaftet er mit den beiden Kindern das eigene Land und nimmt jeden Rückschlag als gerechte Strafe für die Verfehlungen seiner Vergangenheit hin. Das Jahr ist 1880, der ehedem Wilde Westen wird mehr und mehr gezähmt und frei umherziehenden Desperados der Lebensraum entzogen. Munny gehört zu einer aussterbenden Spezies, die von der Zeit längst überholt wurde. Doch als ihm der junge Schofield Kid (Jaimz Woolvett, „Rosewood Burning“) anbietet, ihn bei einer Prämienjagd nach Wyoming zu begleiten, schwingt sich Munny für die Zukunft seiner Kinder ein sichtlich mühevolles letztes Mal in den Sattel.
Einer Hure wurde in einer Viehtreibergemeinde das Gesicht aufgeschlitzt. Das Auspeitschen der beiden Schuldigen durch Sheriff Little Bill (Gene Hackman, „Absolute Power“) ist für die anderen Prostituierten ein Affront. Also setzen sie eine Prämie auf das Leben der Täter aus. Erste Revolvermänner lassen nicht lange auf sich warten. Am geckenhaften Kunstschützen English Bob (Richard Harris, „Der Mann, den sie Pferd nannten“) aber statuiert Little Bill ein demütigendes Exempel. Auch dem kränklichen Munny, der seinen alten Gefährten Ned Logan (Morgan Freeman, „Million Dollar Baby“) zur Menschenjagd überreden kann, prügelt Bill bei ihrer ersten Begegnung die Scheiße aus dem Leib. „Erbarmungslos“ ist eben kein Aufstand alter Männer, sondern ein wuchtiges Drama, in dem vor allem das Wesen der Gewalt differenziert betrachtet wird.
Der bloße Zufall spielt Ned, der nach der mühevollen Erschießung des ersten Täters von Gewissensbissen geplagt den Heimweg antritt, in die Gewalt Little Bills. Doch selbst das zweite Aufeinandertreffen von Munny und dem Sheriff im Infernal einer regnerischen Nacht bleibt dank Eastwoods Zurückhaltung frei von jener Verklärung, für die im Film der Schreiber Beauchamp (Saul Rubinek, „True Romance“) steht. Überhaupt bleibt die Gewalt, abgesehen von Little Bills sadistischen Ausbrüchen, lediglich angedeutet. Klare Grenzen zwischen Gut und Böse, wie sie der amerikanische Western über Jahrzehnte beschwor, werden von Eastwood ohne Pathos aufgehoben. Das Töten hat nichts Selbstverständliches und erst recht nichts Glorreiches. Die wenigen Opfer im Film krepieren elend und unwürdig. Die leise Ironie der Altersdarstellung relativiert diese nüchterne Bitterkeit nicht.
Selbst vermeintlich unbedeutende Szenen, die der Randfiguren und Nebencharaktere, inszeniert Eastwood zur Nuancierung des komplexen Gesamtbildes mit beachtlicher Sorgfalt. Von der zeigten sich Kritiker und Publikum gleichermaßen beeindruckt. „Erbarmungslos“ erhielt vier Oscars. Produzent und Regisseur Eastwood, der auch als Hauptdarsteller nominiert wurde, bekam zwei Auszeichnungen, je eine ging an dessen Stamm-Cutter Joel Cox („Gran Torino“) und den brillant aufspielenden Nebendarsteller Gene Hackman. Weiterhin nominiert wurden Kamermann Jack N. Green („Space Cowboys“), Autor David Webb Peoples („Blade Runner“) sowie Ton und Ausstattung. Der bei aller Lakonie ungemein intensive Ritt wurde somit nicht nur zum besten modernen Abgesang auf das älteste Genre der Kinogeschichte, sondern auch zu einem der besten Western überhaupt. Ein Meisterwerk durch und durch.
Wertung: (10 / 10)