Als einer der bedeutendsten Filmemacher des 20. Jahrhunderts hat Luis Buñuel der Frühzeit der bewegten Bilder seinen Stempel aufgedrückt. Bereits sein Debüt „Ein andalusischer Hund“, das er in Zusammenarbeit mit Künstler Salvador Dalí als Vermengung verschiedener Traummotive schuf, verortete ihn als außergewöhnlichen und gleichsam kontroversen Visionär. 1900 im spanischen Aragonien geboren, zog es den Sohn wohlhabender Eltern nach dem Studium nach Paris, wo er erstmals mit dem Surrealismus in Kontakt kam und sich von der provokanten Kunstbewegung sogleich angezogen fühlte.
Nachdem einige Entwürfe und Drehbücher unverfilmt blieben, drehte der filmbeflissene Buñuel mit Studienfreund Dalí 1929 „Ein andalusischer Hund“. Das Drehbuch erarbeiteten die beiden gemeinsam und verwoben ohne echten Zusammenhang groteske bis schockierende Bilder, deren legendärste das von einem Rasiermesser in Großaufnahme durchschnittene Auge sowie die aus einem Loch in einer menschlichen Hand strömenden Ameisen sind. Die Radikalität des Stils und der bewusste Verzicht auf einen übergeordneten Interpretationsansatz machen das visuell aufregende Kurzfilm-Mosaik bis in die Gegenwart zum wegweisenden Meisterstück.
In der surrealistischen Bewegung um André Breton geriet Buñuel jedoch bald unter Druck. „Ein andalusischer Hund“ lief über Monate erfolgreich im Kino Studio 28, wurde trotz wütender Proteste, moralischer Anfeindungen und (so schrieb Buñuel selbst) zwei Fehlgeburten nicht verboten. Breton schien der ganze Rummel verdächtig. Zumal Buñuel der bürgerlichen Zeitung Revue du Cinéma den Abdruck des Skripts gestattete, was im Kreise der Surrealisten zu einem regelrechten Schauprozess gegen ihn gipfelte. Nachdem er die Gesinnungsgenossen über Protestbriefe und einen Artikel in der belgischen Variétés beschwichtigt hatte, schien für ihn klar, dass er anschließend unmöglich ein kommerzielles Werk drehen konnte.
Für sein 1930 entstandenes Folgeprojekt machte sich Buñuel wieder gemeinsam mit Dalí daran ein Drehbuch zu schreiben. Doch die beiden wurden sich über Ideen und ihre Verwirklichung nicht einig. Sie trennten sich in Freundschaft und Buñuel schrieb „Das goldene Zeitalter“ allein fertig. Lediglich die Szene, in der ein Mann mit einem Stein auf dem Kopf im Park spazieren geht und eine Statue passiert, der ebenfalls ein Stein auf dem Kopf ruht, geht auf Dalí zurück. Als einer der ersten französischen Tonfilme handelt das rund einstündige Werk, sofern man das surreale Puzzle durchdringen mag, von einer unerfüllten Liebe.
Die wiederum nicht logisch verketteten Bilder, in deren Wirren sich durchaus Kirchenkritik und Seitenhiebe auf starre soziale Klassenunterschiede (man beachte den Pferdewagen im Salon) finden, wirken ausgewalzter und weniger schockierend als noch bei „Ein andalusischer Hund“. Dennoch kündet auch Buñuels zweiter Film, der nach einer Hetzkampagne der rechten Presse und der Verwüstung des Studio 28 für ein halbes Jahrhundert verboten wurde, von seiner unbändigen Schaffenskraft. Auch sie führte den Surrealismus, wenn schon nicht zur Veränderung der Gesellschaft, so doch zumindest zum einflussreich klassischen Nebenarm der modernen Kunst.
Pierrot Le Fou hat „Ein andalusischer Hund“ und „Das goldene Zeitalter“ zusammen auf DVD veröffentlicht. Neben den Filmen enthält die empfehlenswerte Disc die ausführliche Dokumentation „A Propósito de Buñuel“ (2008) sowie ein Booklet mit Auszügen aus Buñuels Biographie „Mein letzter Seufzer“.
Wertung: (8 / 10)