Die größte Erkenntnis zuerst: Springfield grenzt an die Staaten Maine, Kentucky, Ohio und Nevada. Sie haben keine Ahnung, wovon hier die Rede ist? Dann sind sie, traurig aber wahr, nicht der Zielgruppe des „Simpsons“-Films zugehörig. Dass die geografische Standortbestimmung ausgemachtem Humbug entspricht, steigert das Amüsement beträchtlich. Seit Jahren zerbricht sich eine gestandene Schar eingefleischter Fans die Köpfe darüber, in welchem Bundesstaat die Heimat der gelbgesichtigen wie vierfingrigen Familie Simpson wohl liegen könnte. Die „urtypische“ US-Kleinstadt – Amerika zählt mehr als 60 Springfields – ist Matt Groenings Trickfilmspiegel der Wirklichkeit. Hier ist alles möglich, hier werden sämtliche Szenarien alltäglicher Weltpolitik im Baukasten einer ironisch verzerrten Parallelrealität durchexerziert.
Nach 20 Jahren, 18 Staffeln und 400 Episoden erlebt die langlebigste TV-Serie der Fernsehgeschichte ihre Premiere auf großer Leinwand. Über die Handlung wurde im Vorfeld der Mantel der Verschwiegenheit gehüllt. Mit Erfolg, denn trotz zahlreicher Gerüchte blieb der Plot des Spielfilmabenteuers ein Geheimnis. Bis jetzt… Der Beginn erzählt die Mondlandung neu. Die Protagonisten sind „Itchy & Scratchy“, Groenings Antwort auf Gewalttrickfilme wie „Tom & Jerry“. Plötzlich erhebt sich eine fettleibige Gestalt und raunt ein standesgemäßes „Laangweilig“ in den gezeichneten Kinosaal. Homer Simpson, die personifizierte Endgültigkeit eines unterbelichteten Enfant Terribles, wendet sich ans Publikum. „Warum Geld für etwas ausgeben, das man sich umsonst im Fernsehen ansehen kann?“ Da ist es wieder, jenes selbstreflexive Anspielungspanorama, das die „Simpsons“ in die Herzen unzähliger Erwachsener – nie zuvor verbarg sich Ideologiekritik derart ungeniert im Innern eines Kinderkonzepts – platzierte.
Die auf den ersten Blick oftmals kaum zu erspähenden Querverweise Richtung Zeitgeschichte, Politik oder Kulturprogramm sind in ihrer Frequentierung gegenüber der Mattscheibe reduziert. Das diebische Vergnügen mindert sich dadurch nicht. Wer kann es den „Simpsons“, mehr noch den kreativen Köpfen im Hintergrund, auch verdenken, dass nach zwei Jahrzehnten nahezu jedes Szenario des alltäglichen Wahnsinns ausgeschöpft wurde? Für Überraschungen ist dennoch gesorgt, unter anderem in der Präsentation des besten Stücks von Sohnemann Bart während des bereits im Trailer hinlänglich vorgestellten Nackedei-Ritts auf dem Skateboard. Ihre Realitätsnähe erhält die Serie seit jeher durch Gastauftritte populärer Personen der Gegenwart, die sich im englischen Original obendrein selbst die Stimme leihen. Im Film sind es unter anderem die US-Punkrocker von Green Day. Während eines Konzertauftritts in Springfield macht das Trio auf die Wichtigkeit des Umweltschutzes aufmerksam – und wird prompt mit einem Hagel aus Flaschen und Steinen bedacht.
Die intellektuelle Simpson-Tochter Lisa hat das Unheil zerstörter Natur längst erkannt. Doch selbst ihr Al Gores Aufklärungsdokumentation „Eine unbequeme Wahrheit“ nacheifernder Vortrag zur bedrohlichen Verschmutzung des Lake Springfield stößt nur auf taube Ohren. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf, als Homer ein (Spider-)Schwein als Haustier adoptiert und dessen angehäuften Dung im nahen – und mittlerweile zugunsten nachhaltiger Sicherung abgesperrten – Stadtgewässer entsorgt. Die Folgen sind verheerend. Eine vieläugige Mutation, ausnahmsweise nicht die (alleinige) Schuld des lokalen Kernkrafteigners C. Montgomery Burns, erweckt das Interesse der amerikanischen Umweltbehörde. Also wird Präsident Arnold Schwarzenegger zum Handeln genötigt, was Springfield eine gläserne Glocke und den Bewohnern Isolation einhandelt. Der Zorn trifft Homer und die Familie Simpson. Durch ein ominöses Loch im Gartengrund gelingt ihnen die Flucht in die Außenwelt – bis nach Alaska. Dort erfahren sie vom Regierungsvorhaben, ihre Heimatstadt komplett zu zerstören. Während Gattin Marge und die Kinder unverzüglich zum Aufbruch bereit sind, benötigt Homer erst spirituellen Beistand, bevor auch er zur Rettung Springfields schreitet.
Die größte Sorge war wohl die Entfernung der Films von der serialen Vorlage. Dass sich diese jedoch als unbegründet erweist, verdankt der Streifen seinem Hang zur Bodenständigkeit. Statt Springfield hätte es auch an die Rettung der ganzen Welt gehen können. Dies aber wäre zu weit gegangen. Allen voran zu weit weg von der bekannten Anarchie ihrer etablierten Realität. So bleibt diese erhalten, ummantelt von Elementen, die man bereits aus dem Fernsehen kennt. Den „Itchy & Scratchy“-Kinofilm hat es bereits gegeben und selbst Baby Maggies Wort im Abspann – es lautet „Fortsetzung“ – ist mitnichten ihr erstes. Nie wagt sich der Plot weiter aus dem Fenster, als es die Sehgewohnheit des Publikums zuließe. Daran geknüpft ist die Einbindung unzähliger Figuren des gelben Universums. In ihrem Auftreten liegt die Liebe zum Detail. Selbst weitgehend unbekannte, nur in einzelnen Folgen eingeführte Charaktere bekommen ihr Gastspiel. Nur Frank Grimes ist und bleibt verstorben. Aber vermutlich hätte er ohnehin keinen Gefallen an Homers neuester Odyssee gefunden.
Wertung: (8 / 10)