Die Mächte des Wahnsinns (USA 1994)

inthemouthofmadness„Reality is not what it used to be!“

Früher war John Carpenter ein Schwergewicht im Horror-Genre. Mit „Halloween“ (1978) ebnete er dem Slasher den Erfolgsweg und schuf auch mit „The Fog“ (1980) und dem Grusel-Remake „Das Ding aus einer anderen Welt“ (1982) moderne Klassiker. Von einflussreichen Werken wie „Assault on Precinct 13“ (1976) und „Die Klapperschlange“ (1981) ganz zu schweigen. Spätestens in den Neunzigern jedoch verblasste der Ruhm. „Jagd auf einen Unsichtbaren“ (1992) oder „Flucht aus L.A.“ (1996) fielen bei Kritikern und Publikum gleichermaßen durch. Und da auch die wenigen im neuen Jahrtausend gefertigten Filme, siehe „Ghosts of Mars“ (2001) und „The Ward“ (2010), kaum die an seinen Namen geknüpften Erwartungen erfüllten, bleibt Carpenters relevantester Beitrag der letzten 20 Jahre die augenzwinkernde Horror-Mär „Die Mächte des Wahnsinns“.

In der gibt „Jurassic Park“-Star Sam Neill den Versicherungsgutachter John Trent. Der ist darauf spezialisiert, dubiose Schadensersatzforderungen zu untersuchen und mögliche Betrüger (u.a. Carpenter-Regularie Peter Jason) in bester Detektivmanier zu überführen. Als er von Verlagschef Jackson Harglow (Alt-Star Charlton Heston, „Der Omega-Mann“) beauftragt wird, den verschwundenen Bestseller-Autor Sutter Cane (Jürgen Prochnow, „Das Boot“) aufzuspüren und die Herausgabe des Manuskripts seines neuesten Buches „In the Mouth of Madness“ (so auch der Originaltitel des Films) einzufordern, wittert Trent einen PR-Coup und begegnet dem Fall mit naturgemäßer Skepsis. So liest er sich in die literarische Welt des Horror-Papstes mit Parallelen zu Stephen King und H.P. Lovecraft ein und stößt bald auf eine Fährte. Doch die Wahrheitssuche lässt ihn bald an seinem Verstand zweifeln.

Nach für Carpenter-Verhältnisse ungewohnt rockigem Eingangs-Score gehört der surreal anmutende Auftakt dem starken Sam Neill. Dessen John Trent wird unter lautstarkem Protest in eine Psychiatrie eingeliefert und schildert, nachdem er die Gummizelle und sich selbst mit Kreuzen beschmiert hat, dem geduldigen Doktor Wrenn (David Warner, „Tron“) seinen Abstieg vom unbeirrbaren Realisten zum zerrütteten (Verdachts-)Wahnsinnigen. Im Rückblick wird eilig Trents Wesen skizziert und Harglows Auftrag formuliert, ehe es mit Verlagsrepräsentantin Linda Styles (Julie Carmen, „Fright Night II“) ins Provinzkaff Hobbs End geht, wo Trent den gesuchten Cane vermutet. Der Weg dorthin scheint David Lynchs „Lost Highway“ zu kreuzen und auch die Idylle des Zielorts ist trügerisch. Trotz alptraumhafter Begebenheiten wittert Trent aber nur Illusion und Betrug.

Carpenters Regie bleibt weitgehend unauffällig, überzeugt aber durch den vielschichtigen Abstieg in Realitäts- und Erzählebenen. Hübsch undurchsichtig und mit fiesen Wendungen versehen, darf Neill mit zunehmendem Zweifel am eigenen Sein herrlich über die Stränge schlagen. Tatsächlich scheint Cane die Welt mit seinem Buch aus den Angeln zu heben und die Tore zu einer Dimension zu öffnen, aus der schleimige Ungeheuer in bester Lovecraft-Manier hervorbrechen. Seine Klasse spielt Carpenter am Schluss aus, wenn er die Realitätsverzerrung in einer bitterbösen Antiklimax auf die Spitze treibt und einmal mehr beweist, dass Horror auch mit Ideen statt Bluteffekten intensiviert werden kann. Subtil geht es bei „Die Mächte des Wahnsinns“ nur bedingt zu. Aber die schwarzhumorige Verkettung von Alptraumskizzen und Genre-Zitaten bleibt originell und ungewöhnlich. Vom Spätwerk des altgedienten Genrespezialisten insgesamt kann das hingegen schwerlich behauptet werden.

Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

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