Der prophetisch spekulative Blick in die Zukunft ist meist pessimistisch gefärbt. Durch ihn werden dystopische Szenarien erprobt, deren Ursprung im politischen Klima der Gegenwart begründet liegt. Im hiesigen Kino sind solch hypothetische Visionen von Umbruch und Untergang selten. Charakter und Selbstverständnis scheinen die Deutschen eher zur Aufarbeitung der Vergangenheit zu bewegen. Eine Ausnahme ist „Die kommenden Tage“, mit dem Lars Kraume („Keine Lieder über Liebe“) gesellschaftliche und politische Eskalation auf die Ebene persönlicher Schicksale herunter bricht.
Das über weite Strecken eindrucksvoll skizzierte Drama wirft die bekannten Strukturen der Gegenwart über den Haufen und lässt die Figuren auf die veränderten Gegebenheiten reagieren. In der Umsetzung ist das so unspektakulär wie es klingt. Aber die Kraft schöpft Kraume aus der Andeutung, dem oberflächlichen visuellen Kratzen am zerrütteten Kern der Gesellschaft. Zeltstädte in öffentlichen Parks, nahezu leere Supermarktregale oder die durch eine hohe Betonmauer abgeschotteten verbliebenen Kernstaaten der Europäischen Union vermitteln eine Ahnung der Eskalation und schlagen eine nicht eben schwer nachzuvollziehende Brücke ins krisengebeutelte Hier und Jetzt.
Im Zentrum stehen Figuren, deren Entscheidungen und Lebenswege die veränderten Bedingungen reflektieren. Die aus wohlhabendem Hause stammenden Schwestern Laura (Bernadette Heerwagen, „Ich bin die Andere“) und Cecilia (Johanna Wokalek, „Der Baader Meinhof Komplex“) stehen für grundverschiedene Lebensmodelle. Der Anwaltsvater ist weder Vorbild noch Orientierungshilfe, die Ehe zur Mutter zerrüttet langsam und während Laura ihr Heil im Studium sucht, begehrt Cecilia durch Freund Konstantin (August Diehl, „Wer wenn nicht wir“) auf. Er führt sie in eine Untergrundorganisation ein, die im Scheitern des Aktionismus terroristische Züge annimmt.
Laura, die ihren Freund Hans (Daniel Brühl, „Der ganz große Traum“) verlässt, weil die beiden keine Kinder bekommen können, stürzt sich ins Studium und bandelt irgendwann mit Konstantin an, der sie aber lediglich als Tarnung für die umstürzlerischen Pläne missbraucht. Die ins Abseits gedrängte Cecilia soll durch Konstantins Wirken während einer groß angelegten Demonstration in Polizeiuniform einen Unschuldigen töten und den Zusammenbruch des Systems befeuern. Diese Entwicklungen mögen dramaturgisch nicht immer glaubhaft erscheinen, die relative Zurückhaltung bei der Ausgestaltung von Chaos und Charakteren gestalten die auf Hoffnungsschimmer und Happy End konsequent verzichtende Geschichte aber packend.
Trotz der sehenswerten Umsetzung und guter Darstellerleistungen weist das auch von Kraume verfasste Skript einige Schwächen auf. Der familiäre Zerfall bleibt inkonsequent geschildert, Eltern und der mangels autoritärer Strukturen bei der Bundeswehr anheuernde Bruder bestenfalls Randfiguren. Auch das elliptische Kreisen der Hauptprotagonisten umeinander wirkt oft zufällig und konstruiert. Vom gestelzten actionbetonten Finale im Niemandsland der Alpen ganz zu schweigen. Ungeachtet einer gewissen Überfrachtung an Schicksal und Drama überzeugt aber vor allem die Beiläufigkeit, mit der das Chaos den Rechtsstaat ablöst. Ein mutiges Stück deutsches Kino also, dem es im Detail allerdings an Ausgewogenheit mangelt.
Wertung: (7 / 10)